Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
befürwortete die Auslöschung all derjenigen, die nicht dem ›wahren‹ Islam anhingen. Er war es, der die Massaker an den Hazara anstieß, weil sie Schiiten waren. Ich habe mich sofort zu Beginn unserer Regierungszeit gegen ihn positioniert. Hekmatyars rechte Hand hieß Emir Beg. Emir Beg war so grausam, dass alle ihn fürchteten, auch die Taliban selbst. Unzähligen Menschen ließ er die Hand abhacken, nur weil sie Toilettenpapier anstatt flacher Steine benutzten. Im Koran steht nichts von Toilettenpapier, sagte Emir Beg, also ist derjenige, der es benutzt, ein Gottloser, er begeht ein Verbrechen gegen den Koran. Dasselbe gilt für diejenigen, die sich den Bart rasieren, nirgendwo steht im Koran, der Prophet – er sei gepriesen – habe sich rasiert, also waren alle, die sich rasierten, seiner Meinung nach Verbrecher. Emir Beg ist Analphabet, ich vermute, er hat den Koran nie gelesen, aber er hatte viel Charisma, und die Leute beugten sich vor seiner Macht. Ich habe versucht, mich gegen ihn aufzulehnen. Zuerst, indem ich argumentierte, der Koran erwähne auch nirgendwoeine Kalaschnikow, einen Geländewagen oder Strom, dennoch würden wir sie benutzen, der Koran könne also nicht wortwörtlich genommen werden. Ich erhielt kein Gehör. Da beschloss ich, mich mit anderen Imams des Geheimrats der Taliban zusammenzutun, die ihrerseits entsetzt waren über die Gewaltbereitschaft Hekmatyars und Emir Begs. Der Terror, den sie in den von ihnen beherrschten Gebieten ausübten, kam uns zugute. Mullah Omar wagte nicht, Hekmatyar anzugreifen, aber dass er schließlich doch in Ungnade fiel, verdankten wir der Sache mit dem Sarg.«
»Inwiefern war er darin verwickelt?«
»Er war an jenem Tag zur Inspektion beim Zoll. Er war es, der die Peitschenhiebe angeordnet hatte.«
Osama kannte die Geschichte nur zu gut: »Im Jahr 2000 hatte ein reicher Emigrant verfügt, dass, wenn er gestorben sei, man seine Leiche nach Afghanistan zurückführen solle. Die Taliban kontrollierten den Sarg am Zoll. Als sie feststellten, dass der Leichnam keinen Bart trug, so, wie es in den heiligen Büchern festgeschrieben stand, packte sie blinde Wut, und sie bestimmten vierundzwanzig Peitschenhiebe als Bestrafung. Die Angelegenheit war publik geworden und hatte zum negativen Image des Regimes beigetragen, weil sie die ans Lächerliche grenzende Absurdität der Gesetzesauslegung der Taliban aufgezeigt hatte.«
»Was geschah dann?«, fragte Nick.
»Emir Beg hatte Wind davon bekommen, dass man ihn verhaften wollte, und flüchtete in die Berge. Ich wusste, dass er Nuristani war, aber ich dachte, er würde sich viel weiter nördlich verstecken, oberhalb von Barg-e-Matal.«
»Und Sie denken, er will Rache üben?«, fragte Osama. »Sie waren schließlich nicht der Einzige, der an der Entscheidung beteiligt war.«
»Ich war die treibende Kraft. Ich habe seine Karriere zerstört, habe ihn gezwungen, zusammen mit seinen Männern zufliehen, wie ein Hund. Er hatte Macht, Mullah Omar hörte auf ihn, er besaß ein großes Haus in Kandahar mit Leibwächtern, jungen Tänzerinnen und verschiedenen Frauen, mit denen er sich dank nachsichtiger Imame für eine Nacht verheiraten ließ. Aber um auf Ihre Frage zu antworten: Ja, ich glaube, er hasst mich. Wenn er meiner habhaft wird, lässt er mir die Spezialbehandlung zukommen, die er seinen persönlichen Feinden vorbehält.«
»Und zwar?«
»Er wird mir die Augen ausstechen, mir Finger, Nase und Zunge abhacken und die Genitalien abreißen. Anschließend wird er mich ganz langsam sterben lassen. Es heißt, man stirbt anschließend an einer Infektion, es dauert zwei, drei Wochen, manchmal auch länger.« Er lachte bitter. »Meine Freunde, Bruder Osama, lieber Nick, wenn wir in seine Hände geraten, wird euch dieselbe Behandlung zuteil, fürchte ich.«
Als sie das Dorf erreichten, lief der Anführer auf sie zu.
»Sie sind bei den Obstbäumen, ein Stück weiter unten, zusammen mit dem Imam. Sie beginnen gleich mit der Steinigung!«
Sie hetzten hinunter zu der bezeichneten Stelle. Jenseits des letzten Hauses sahen sie die Dorfbewohner auf einer verschneiten Fläche. Eine Frau mit zerrissener Tunika und im Wind flatternden Haaren saß auf den Fersen, sie war mit einer Art Hanfleine festgebunden. Das war sie – Zahra. Diese Frau mit den zerzausten Haaren und dem glasigen Blick, die dort gedemütigt im Schnee kniete, hatte indes nicht mehr viel mit der Schönheit auf dem Foto gemein. Eine Frau in Burka zerrte an der
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