Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
der üblichen Halbstiefel zog er gefütterte russische Stiefel an. Er nahm rasch ein kleines Frühstück ein, Datteln, Ziegenkäse und Kaffee, alleine, denn Malalai hatte drei Tage hintereinander Nachtdienst in der Klinik. Die Einsamkeit stimmte ihn melancholisch, vor allem nach dem Streit mit Malalai am Vortag. Er trank einen zweiten Kaffee. Im Unterschied zu seinen Landsleuten war Osama ganz verrückt nach Kaffee. Er kaufte ihn bei einem aserbaidschanischen Händler, der ihn so fein wie Mehl mahlte und Kardamom hinzugab. Osama kochte ihn direkt im Wassertiegel auf, so, wie es bei den aus Turkmenistan stammenden Belutschen Usus war. So hatte es sein Vater immer gemacht, und als traditionsverhafteter Mensch hatte er gehofft, dass seine beiden Kinder dieses Ritual fortführten.
Während er die Blechtasse in der Spüle auswusch, hörte er, dass jemand gegen die Tür schlug, einmal und dann zwei weitere Male. Dieser Code zwischen ihm und Nafuz bedeutete, dass jemand zu Besuch kam und keine Gefahr darstellte. Er schob den Riegel beiseite. Durch den Türspalt sah er einenMann in einem schwarzen
Kalpan
, dessen Gesicht von einem Wollschal verhüllt war. Der Mann nahm den Schal ab, und Osama erkannte zu seiner Überraschung Mullah Bakir.
»Guten Morgen, Bruder Osama, darf ich kurz hereinkommen?«
Erstaunt öffnete Osama die Tür. Mullah Bakir klopfte den Schnee von seinem Mantel und hängte ihn sorgfältig an einen Garderobenhaken in der Diele.
»Ein herrliches Haus, Bruder Osama!«, rief er spöttisch. »Ein wahrer Palast! Das freut mich, dass es in diesem Land zumindest einen Polizisten gibt, der nur von dem Gehalt lebt, das er von der Regierung bekommt. Sie sind ein echter
al-Gaida
!«
Die Einteilung der Bevölkerung in drei Klassen war ein beliebter Spaß: al-Faida – das waren diejenigen, die sich bereichert hatten; al-Qaida – diejenigen, die kämpften; schließlich al-Gaida – diejenigen, die sich zum Narren machen ließen.
»Ich wusste gar nicht, dass Sie so viel Humor haben. Ich habe nichts Anständiges zum Essen im Haus, verzeihen Sie, aber wenn Sie einen Kaffee mögen, folgen Sie mir einfach«, brummte Osama. »Ich habe gerade welchen zubereitet.«
Er nahm eine zweite, identisch aussehende Tasse aus dem Schrank und goss den heißen Kaffee hinein. Der Mullah hielt sie einige Sekunden lang in die Luft, in Höhe seines Gesichtes.
»Standardmaterial der russischen Armee. Ihre wunderbare Gattin kann Ihnen wohl nichts Besseres bieten, oder ist das etwa ein liebgewonnenes Souvenir Ihrer Jugendjahre als Mudschahid?«
»Ja, diese Tassen stammen aus den Zeiten der Nordallianz«, gab Osama zu. »Die ersten wurden den Leichen russischer Soldaten abgenommen, später kauften wir sie ihnen dann ab. Sie waren nicht teuer, fünf Afghanis. Sie halten ein Leben lang.«
»Meinen Kaffee bitte mit viel Zucker«, sagte der Mullah. »Ich hielt es für angebracht, direkt zu Ihnen zu kommen«, meinte er dann und schlürfte seinen Kaffee, »denn der Minister hat Windvon Ihrer Eskapade bekommen. Es haben ihn Männer aus dem Westen davon in Kenntnis gesetzt, dass Sie Bismullah Tikrini für einige Stunden aus dem Gefängnis geholt haben.«
»Männer aus dem Westen? Wer könnte denn über Tikrinis Ausflug unterrichtet gewesen sein?«
»Ich weiß nicht genau, aber ich bin ziemlich sicher, dass es sich um Ungläubige handelt, um Nazarener, keine Leute vom NDS.«
»Sind Sie sicher, dass nicht der Minister selbst die Information in Umlauf gebracht hat?«
»Nein, er hat die Nachricht von den Westlern erhalten und nicht umgekehrt, dafür verbürge ich mich. Ich habe einen Informanten in unmittelbarer Umgebung von Khan Durrani.«
»Wenn er eine Kopie des temporären Entlassungsbescheids zugespielt bekommt, wird er mich suspendieren lassen. Dann entzieht man mir den Fall.«
Mullah Bakir lächelte und zog ein Blatt Papier aus seiner Tasche.
»Hier ist das Bevollmächtigungsschreiben. Ich selbst habe es mir beim Gefängnisdirektor wiedergeholt, eine halbe Stunde, nachdem Sie Tikrini mitgenommen haben.«
»Weshalb?«, fragte Osama verwundert.
»Weil ich dem Gefängnisdirektor misstraue und weil dieses Schreiben Ihnen schaden kann. Und dann natürlich auch – ich gestehe es –, weil ich meine Macht über ihn festigen möchte.«
»Glauben Sie, er war derjenige, der angerufen hat? Um sich zu rächen?«
»Von Seiten der Gefängnisleitung ist nichts durchgesickert, da bin ich sicher. Ich habe es Ihnen ja schon beim letzten Mal gesagt
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