Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
– der Direktor hat zu große Angst vor mir!«
Wenn das stimmte, dann bedeutete es zugleich, dass er bereits aktiv überwacht wurde, überlegte Osama, und das trotz seiner Vorsicht und Erfahrung in diesen Dingen. Wer ihn da überwachte, musste ein Profi sein. Ihm fiel ein, dass in WaliWadis Wohnung ein Mann aus dem Westen dabei gewesen war.
»Sie sind in die Fänge eines anderen Geheimdienstes geraten«, sagte der Mullah, als hätte er Osamas Gedanken gelesen. »In die Hände von Profis.«
»Von wem?«
»Ich weiß es nicht, es gibt so viele. Jedenfalls handelt es sich nicht um den offiziellen Trabanten der CIA oder eines großen europäischen Dienstes, meint mein Informant. Vielleicht sind es die Russen oder die SAD, vielleicht ist auch eine noch schlimmere Brutstätte im Spiel. Jedenfalls hängen Ihnen ziemlich mächtige Leute an den Fersen, die den Minister selbst bei größtem Betrieb ans Telefon bekommen.«
Osama kannte die Special Activities Division vom Hörensagen. Er wusste, dass es sich um den paramilitärischen Arm der CIA handelte, dass sie heikle Aktionen in seinem Land ausführte, die immer mit Gewalt einhergingen.
»Der Innenminister hat rasch reagiert – und brutal –, gleich nachdem die Westler ihn informiert hatten. Zwei Männer wurden im Gefängnis vorstellig. Sie hatten einen vom Minister persönlich unterzeichneten Haftbefehl gegen Tikrini in der Tasche, ich weiß nicht, wohin sie ihn brachten. Jedenfalls wollte ich Ihnen das sofort mitteilen, deshalb sitze ich jetzt hier.«
»Die Safes in Wali Wadis Büro waren leer. Tikrini konnte mir nicht helfen, der Minister regt sich also wegen nichts und wieder nichts auf«, bemerkte Osama.
»Mag sein, aber jetzt weiß er, dass Sie Ihre Ermittlungen ernst nehmen.« Der Mullah deutete mit dem Finger auf ihn. »Er weiß, dass Sie nicht davor zurückschrecken, einen wegen Mordes verurteilten Mann aus seiner Zelle holen zu lassen. Er kann diese Information nicht gegen Sie verwenden, weil Sie Tikrini noch am selben Abend wieder zurückgebracht haben, aber das Misstrauen, das er Ihnen gegenüber hegt, ist dadurch sicher nicht geringer geworden.«
»Ich werde aufpassen. Bin ja daran gewöhnt.«
»Übrigens, wie ich gehört habe, erwarten Sie eine Postsendung aus Russland. Mein Informant teilte mir mit, dass der Minister auf dem Laufenden ist und angeordnet hat, dass die Sendung abgefangen und an ihn weitergeleitet wird. Einer seiner Männer hat diesen Befehl gestern Nachmittag ans Postministerium weitergegeben.«
Diesmal war Osama sprachlos. Er wurde also nicht nur verfolgt, sondern auch abgehört – denn er war allein gewesen, als er mit Moskau telefoniert hatte. Er hatte niemandem aus seiner Mannschaft Bescheid gesagt, nicht einmal seinen Assistenten. Das Gespräch hatte er auf Russisch geführt, das Spionageteam verfügte also über mehrsprachige Experten. Ein erneuter Hinweis auf eine Organisation oder zumindest auf eine Struktur, die in der Lage war, auf weitreichende Ressourcen zurückzugreifen.
»Sie haben es mit mächtigen Leuten zu tun«, säuselte Mullah Bakir. »Darf ich fragen, was dieses berühmte Paket aus Russland enthält?«
Osama taxierte ihn einen Augenblick. Es war unmöglich, ihm die Wahrheit zu verschweigen.
»Chemisches Material, mit dem man herausfinden kann, ob Wali Wadi Schießpulver an den Händen hatte.«
»Oh, Sie glauben also, Wadi habe gar nicht Selbstmord begangen? Was für eine Überraschung!«, spottete der Mullah. Dann wurde er auf einmal ernst. »Ich kann versuchen, dieses Paket abzufangen, bevor der Minister es in die Finger bekommt, aber ich wäre in dem Fall auf die Hilfe von gewissen Leuten angewiesen, deren Methoden Sie nicht notwendigerweise gutheißen. Die Entfernung der Taliban aus allen Ämtern bei Post und Telekommunikation war … unvollständig, würde ich sagen, wir haben noch viele unserer Leute dort. Wussten Sie, dass es genauso viele Leute im Zensurbüro gibt wie zu Zeiten von Mullah Omar?«
Osama, ganz in Gedanken versunken, antwortete nicht gleich. Es gab viele Tadschiken bei der Post, wie überhaupt bei der Verwaltung, und bestimmt fand er dort Veteranen der Nordallianz, welche den Häschern des Ministers zuvorkamen. Das war viel einfacher für ihn, als sich den mehr oder weniger heimlichen Machenschaften Mullah Bakirs zu überantworten. Ihm war noch nicht klar, was der Imam davon hatte, ihm zu helfen, wo er doch die Taliban mit all seinen Kräften verfolgt hatte. Und solange er das nicht
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