Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
zur Steinzeit für einen Hungerlohn: Ohne moderne Maschinen hackten sie die Erde mit einfachsten Werkzeugen auf. Für die Arbeit armer Auswanderer, die Tag und Nacht in Bunkern im Stadtzentrum hausten, kassierte der amerikanische
Contractor,
der sich den Auftrag gesichert hatte, Tausende von Dollars pro hundert Meter. Nachdem sie an den Ruinen des ehemaligen Schlosses vorbeigefahren waren, das noch immer stolz aufragte, bogen sie vor dem Museum ab, einem mickrigen Bau in einem Park, in dem bizarrerweise das Gerippe einer Dampflokomotive stand. Sie befanden sich nun auf einer staubigen unbefestigten Straße.
»Sind Sie sicher, dass wir richtig sind?«, fragte er Osama beunruhigt.
»Ganz sicher.«
Chilstone war eines von Kabuls ärmlichsten Vierteln. Kein fließendes Wasser, keine Müllabfuhr, keinerlei Infrastruktur. Osama ließ den Fahrer an einem Lebensmittelladen an einerEcke anhalten und verschwand in einer übelriechenden, vermüllten Gasse. Niedrige Häuser aus Strohlehm klebten eng aneinander, immer wieder durch kleine Grundstücke getrennt, die als improvisierte Friedhöfe dienten. Anstelle von Grabsteinen hatten die Leute schlichte abgeschliffene Steine benutzt, da sie zu arm für einen echten Grabstein waren. Grüne Fähnchen wehten über den Gräbern derjenigen, die eines gewaltsamen Todes gestorben waren, Opfer von Attentaten oder von Gewalttaten der Taliban. Fast jedes zweite Grab war damit geschmückt. Eine Friedhofsparzelle, ein Haus, eine Friedhofsparzelle, ein Haus, eine gute Viertelstunde marschierte Osama in dieser bedrückenden Umgebung vorwärts. Dieses armselige Viertel war beinahe ausschließlich von Aimaken bewohnt, einem der ärmsten Volksstämme Afghanistans. Die Aimaken waren Nomaden mongolischer Herkunft und vor allem im Zentrum und im Westen des Landes ansässig. Osama war Belutsche; die Belutschen stammten ursprünglich aus Persien und lebten fast nur im Südwesten des Landes, doch in Chahar Borjak, wo er aufgewachsen war, hatte er sich durch die Zufälle des Lebens mit ein paar Aimaken angefreundet. Mit einigen von ihnen verband ihn heute noch eine enge Freundschaft, so auch mit dem Mann, den er nun treffen wollte. Osama strebte immer weiter in das Viertel hinein, bemüht, nicht auf den bestialischen Gestank zu achten, der ihn einhüllte. Zwei Gerbereien, eine mehrere Hektar große Müllhalde und ein Schlachthof befanden sich in der Nähe. In Gräben verwesten die Gerippe der Hammel und Rinder unter freiem Himmel, ohne dass die Stadtverwaltung etwas dagegen unternahm. Er fragte sich, wie die Leute im Sommer atmen konnten, wenn die Temperatur bis auf vierzig Grad anstieg.
Nach einer Weile fragte er ein Kind am Straßenrand: »Weißt du, wo sich die Kanzlei von Sahib Kalkana, dem öffentlichen Schreiber, befindet?«
Das Kind deutete auf eine kleine schräg verlaufende Gasse, die im Halbdunkel der beginnenden Nacht kaum zu sehen war.
»
Nazdik
.«
»Nicht weit« – das konnte alles bedeuten. Die Kanzlei konnte in hundert Metern Entfernung liegen oder in zwei Kilometern. Schließlich erreichte Osama ein verfallenes Gebäude, dessen Tür offenstand. Zwei Petroleumlampen erhellten ein düsteres Zimmer, in dem ein Dutzend Männer warteten. Er musste sich beim Eintreten ducken, weil der Türstock so niedrig war. Drinnen war der Gestank noch schlimmer. Osama grüßte und ging auf einen kleinen Flur hinaus. Ein alter Mann saß an einem wackligen Schreibtisch, er war so dünn, dass seine Haut auf seinen Knochen zu kleben schien. Eine Kerze flackerte auf dem Pult. Osama beugte sich zu ihm hinunter.
»Ich bin ein Freund von Sahib Kalkana. Sag ihm, Osama möchte ihn sprechen.«
Der Sekretär verstand nichts, Osama musste den Satz mehrfach wiederholen. Als er die Nachricht endlich begriffen hatte, erhob sich der Alte unter Schmerzen und verschwand hinter einem Vorhang. Eine Minute später kam er mit einem Mann zurück, der im Vergleich zu Osama ein Zwerg war. Abdul Kalkana hatte sehr dunkle Haut, einen dichten Bart und die für die Aimaken typischen mandelförmigen Augen. Er umarmte Osama herzlich.
»Du hier? Was für ein Glück, gerade ist ein Auftrag fertig geworden, da habe ich bisschen Zeit. Ich freue mich, dich zu sehen! Komm mit.«
Kalkana führte ihn in ein kleines Kabinett, das nur mit einem Holztisch, zwei Stühlen und einem überbordenden Regal eingerichtet war. Ein Rechner und ein Laserdrucker, Kalkanas Werkzeuge, standen ausgeschaltet auf dem Tisch. In diesem Viertel Kabuls gab
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