Das Kadett
Botharis Zeit mit Vorrutyer endete mit Rügen, schwarzen Strichen, Strafexerzieren und versiegelten medizinischen Berichten. Da Elena ihm über die Schulter schaute, ließ er diese Seite ganz schnell durchlaufen. Irgendwie war alles merkwürdig widersprüchlich. Absolut winzige Vergehen waren drakonisch bestraft worden. Andere dagegen, ausgesprochen ernsthafte – Bothari hatte tatsächlich einen Ingenieur in der Herrentoilette sechzehn Stunden lang mit der Plasmabogenwaffe in Schach gehalten! – warum bloß, um Gottes willen verschwanden die in den medizinischen Unterlagen und führten zu keinerlei Bestrafung.
Noch weiter zurück kam eine klare Linie in die Berichte. Mit zwanzig hatte Bothari angefangen, im Krieg zu kämpfen. Auszeichnungen, Verwundetenabzeichen, weitere Orden. Hervorragende Resultate in der Grundausbildung. Unterlagen über seinen Eintritt. »Damals war es viel leichter als heute, Rekrut zu werden«, sagte Miles neidisch.
»Sind meine Großeltern auch aufgeführt?«, fragte Elena begierig. »Über sie spricht er nämlich auch nie. Ich nehme an, dass seine Mutter gestorben ist, als er noch ziemlich jung war. Er hat mir nicht mal ihren Namen genannt.«
»Marusia«, las Miles ihr vor. »Eine unscharfe Abbildung.«
»Ich finde das Bild schön.« Elena klang froh. »Und sein Vater?« Verdammt, dachte Miles. Die Kopie der Akte war nicht so unscharf, dass er nicht das ›unbekannt‹ lesen konnte, das irgendein Schreiber vermerkt hatte. Miles schluckte. Jetzt wurde ihm klar, warum ein bestimmter Schimpfname Bothari unter die Haut ging, während alle anderen ihn nur abschüttelten.
»Vielleicht kann ich es lesen«, bot Elena an, da sie Miles’ Zögern falsch verstand. Ein Handgriff – und der Bildschirm war leer. »Konstantine«, erklärte Miles blitzschnell. »So wie er. Aber beide Eltern waren schon tot, als er in die Armee eintrat.«
»Konstantine Bothari Junior«, sagte Elena nachdenklich. »Hm.«
Miles blickte auf den leeren Bildschirm und unterdrückte nur mit Mühe einen frustrierten Schrei. Noch ein verdammter gesellschaftlicher Keil mehr zwischen ihm und Elena! Ein Schwiegervater, der ein Bastard war, kam für einen noch jungfräulichen Barrayaraner nie und nimmer in Frage. Und offensichtlich war es kein Geheimnis – sein Vater musste es wissen und weiß Gott wie viele Hunderte noch. Ebenso offensichtlich war, dass Elena keine Ahnung hatte. Sie war auf ihren Vater mit Recht stolz, der in einer Eliteeinheit gedient hatte und eine hohe Vertrauensstellung innehatte. Miles wusste, wie schmerzlich sie sich oft um einen zustimmenden Ausdruck auf dem alten, wie aus Stein gemeißelten Gesicht bemühte. War es nicht seltsam, dass der Schmerz in beide Richtungen schnitt? Fürchtete Bothari in diesen Augenblicken den Verlust dieses Ringens um seine Anerkennung? Nun, das Pseudogeheimnis des Sergeants war bei Miles sicher.
Jetzt ließ er Botharis Leben schnell nach vorn abspulen. »Immer noch kein Zeichen von deiner Mutter«, sagte er zu Elena. »Sie muss unter dem Siegel sein. Verdammt, ich dachte, es sei ein Kinderspiel.« Nachdenklich starrte er ins Leere. »Versuchen wir es mal mit Krankenhausberichten. Tode, Geburten – bist du sicher, dass du hier in Vorbarr Sultana geboren wurdest?«
»So weit ich weiß, ja.«
Mehrere Minuten mühsamer Suche führten zu einer Reihe von Botharis, aber keiner war mit dem Sergeant oder Elena irgendwie verwandt. »Aha!«, rief Miles plötzlich. »Jetzt weiß ich, was ich noch nicht probiert habe. Das Kaiserliche Militärlazarett!«
»Die haben aber keine Entbindungsstation«, meinte Elena.
»Wenn es aber ein Unfall war – Ehefrau eines Soldaten und so –, hat man sie vielleicht in die nächste Klinik gebracht und vielleicht war das das Lazarett.« Er beugte sich über die Maschine. »Suchen, suchen … was?«
»Hast du mich gefunden?«, rief Elena aufgeregt.
»Nein – mich!« Er ließ Seite um Seite der Dokumentation ablaufen. »Da hat die militärische Forschung ganz schön schuften müssen, um die Sauerei zu beseitigen, die sie selbst gemacht hatte. Ein Glück für mich, dass man schon diese Gebärmutterreplikatoren importiert hatte – ja, da sind sie – in vivo hätte man nie diese Behandlungen durchführen können. Sie hätten Mutter das Leben gekostet. Da ist der gute alte Dr. Vaagen – ha! Er war früher in der Militärforschung! Das ergibt Sinn – ich nehme an, dass er ihr Giftexperte war. Ich wünschte, ich hätte mehr davon gewusst, als
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