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Das Kadett

Das Kadett

Titel: Das Kadett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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hinab. »Was?«
    »Der … Ihr Vater bittet Sie, sich anzuziehen und sofort zu ihm nach unten zu kommen.« Das Gestammel des Mannes bestätigte Miles’ Befürchtung.
    Es war die Stunde vor Sonnenaufgang. Gelbe Lampen warfen warme Lichtkreise in der Bibliothek, als Miles eintrat. Die Fenster waren kalte, blaugraue, durchsichtige Rechtecke, die weder Licht von draußen einließen, noch das drinnen widerspiegelten. Miles’ Vater stand halb angezogen in Uniformhosen, Hemd und Pantoffeln da und führte ein ernstes Gespräch mit zwei Männern. Es waren der Hausarzt und ein Adjutant in der Uniform des Kaiserlichen Haushalts. Sein Vater – Graf Vorkosigan? – blickte Miles an.
    »Großvater, Sir?«, fragte Miles.
    Der neue Graf nickte. »Ganz still im Schlaf, ungefähr vor zwei Stunden. Er hat nichts gespürt, glaube ich.« Die Stimme seines Vaters war tief und klar, ohne Zittern; aber die Falten im Gesicht schienen tiefer als sonst zu sein. Er war ruhig und beherrscht, ganz der entschlossene Kommandant, der die Situation unter Kontrolle hat. Nur in seinen Augen war manchmal aus einem gewissen Winkel heraus, der Blick eines verängstigten, erschrockenen Kindes. Die Augen machten Miles viel mehr Angst als der feste Zug um den Mund.
    Miles Blick verschwamm. Ärgerlich wischte er sich die läppischen Tränen mit dem Handrücken ab. »Gottverdammt!«, murmelte er wie betäubt. Nie hatte er sich kleiner gefühlt.
    Sein Vater musterte ihn unsicher. »Ich …«, fing er an. »Sein Leben hat schon seit Monaten nur noch an einem Faden gehangen. Das weißt du doch …«
    Und ich habe gestern den Faden durchgeschnitten, dachte Miles schuldbewusst. Es tut mir so leid … Aber laut sagte er nur: »Jawohl, Sir.«
    Die Beerdigung des alten Helden war eine Staatsaktion. Drei Tage lang ein Riesenspektakel. Und warum das alles? dachte Miles müde. Schnell wurde die passende schwarze Trauerkleidung beschafft. Das Haus Vorkosigan wurde zu einem chaotischen Auffangraum für Raubzüge in öffentliche Kulissen: Die Aufbahrung in Schloss Vorhartung, wo der Rat der Grafen zusammentrat. Die Lobreden. Der Leichenzug war beinahe eine Parade, da Gregor Vorbarra eine Militärkapelle in Paradeuniform und eine Abteilung seiner rein dekorativen Kavallerie zur Verfügung gestellt hatte. Dann die Beerdigung selbst …
    Miles hatte geglaubt, sein Großvater sei der letzte seiner Generation. Doch dem war nicht so, denn es erschien ein ganzer Haufen alter Krieger samt Kumpanen mit morschen Knochen, die man förmlich knarren hörte. Wie schwarze Krähen flatterten sie herum. Miles hatte keine Ahnung, aus welchen Löchern sie gekrochen waren. Mit grimmiger Höflichkeit ertrug er ihre schockierten und mitleidsvollen Blicke, als man ihn als Piotr Vorkosigans Enkel vorstellte, und hörte sich die endlosen Erinnerungen an über Leute, von denen er nie gehört hatte und die schon vor seiner Geburt gestorben waren. Er hoffte inständig, niemals wieder von ihnen hören zu müssen.
    Selbst nachdem der letzte Spaten Erde festgedrückt worden war, war noch nicht Schluss. Jetzt wurde das Haus der Vorkosigans am Nachmittag und Abend von Horden überfallen – denn man konnte diese Menschen ja wirklich nicht als Kondolenten bezeichnen. Es waren Freunde, Bekannte, hohe Militärs, deren Frauen – Höflinge, Neugierige und mehr Verwandte, als Miles lieb war.
    Graf und Gräfin Vorkosigan waren unten festgenagelt. Für Miles’ Vater waren die gesellschaftlichen Pflichten immer mit seinen politischen Aufgaben verbunden and daher doppelt unentrinnbar. Als aber Miles’ Vetter Ivan Vorpatril im Schlepptau seiner Mutter eintraf, verzog er sich in das einzige Schlupfloch, das noch nicht von feindlichen Truppen besetzt war. Ivan hatte die Aufnahmeprüfungen für die Akademie bestanden, wie Miles gehört hatte. Er war nicht sicher, dass er die grausigen Einzelheiten ertragen könnte. Im Vorbeigehen nahm er ein paar bunte Blumen aus einem Beileidsgesteck und floh mit dem Lift ins obere Stockwerk, um dort Zuflucht zu suchen.
    Miles klopfte an die geschnitzte Holztür. »Wer ist da?«, drang Elenas Stimme leise zu ihm. Er probierte den Türknopf aus Emaille. Die Tür war nicht verschlossen. Er schob die Hand mit den Blumen durch den Türspalt. »Ach, Miles, komm herein!«, sagte sie.
    In Schwarz wirkte er besonders schlank, als er hereinstelzte und versuchsweise lächelte. Elena saß in einem antiken Sessel beim Fenster. »Woher wusstest du, dass ich es bin?«, fragte Miles.
    »Naja,

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