Das Känguru-Manifest
Werbung stehen!«
»Gehst du zu einer schönen Sause, vergiss nicht deine BioBrause TM !«, sagt es, prostet mir mit seiner Flasche zu und trinkt einen Schluck. Sofort verzieht es das Gesicht.
»Bäh! Das schmeckt so widerlich«, flucht es. »Aubergine-Pomelo. Wer denkt sich so beknackte Geschmacksrichtungen aus. Ich muss jedes Mal fast kotzen.«
»Warum trinkst du es dann?«, frage ich.
»Aus demselben Grund, aus dem die meisten Leute Dinge tun, ob derer sie eigentlich kotzen möchten«, sagt das Känguru.
»Du bekommst Geld dafür?«
»Korrekt. Ich habe einen Vertrag unterschrieben, dass ich jedes Mal, wenn ich einen Raum betrete, Sachen sage wie: ›Mach mal Pause – natürlich mit BioBrause TM !«
Skeptisch ziehe ich meine linke Augenbraue nach oben.
»Und dafür bekommst du Geld von BioBrause TM ?«
»Hey! Noch nie was von viralem Marketing gehört?«, ruft das Känguru empört. »Ich bin ein Multiplikator!«
»Wie viel Euro zahlt dir BioBrause TM denn?«, frage ich.
»Na ja, also sie bezahlen mich nicht direkt in Euro …«
»In was dann? In Happy Digits?«
»Ich bekomme jeden zweiten Tag ’ne Palette Brause.«
»Aubergine-Pomelo? Ich dachte, das schmeckt dir nicht.«
»Tut’s auch nicht. Aber Dragonfruit-Bärlauch ist noch schlimmer.«
»Anis-Sellerie wäre auch ’ne tolle Geschmacksrichtung«, sage ich. »Damit könnte man mich jagen …«
»Nur falls du dich wunderst, was das soll …«, sagt das Känguru.
»Ich habe aufgehört, Sachen zu hinterfragen«, sage ich. »Das macht unglücklich.«
»Ich erkläre es dir trotzdem«, sagt das Känguru. »Ich habe beschlossen, da man mit totaler Konsumverweigerung heutzutage keinen mehr schocken kann, meinen Protest durch die totale Prostitution auszudrücken. Ab sofort ist alles an mir käuflich. Vom Beutelaufdruck bis zur Fahne an der Schwanzspitze. Vom ersten Satz nach dem Aufstehen bis zum letzten Gedanken vor dem Schlafengehen.«
»Ich glaube ja nicht, dass du viele weitere Werbepartner gewinnen wirst«, sage ich.
»Warum?«
»Weil du dich verkaufen willst«, sage ich.
»Und?«
»Siehst du die Dicke da mit der Lidl TM Tüte?«
»Ja.«
»Und den Teenie mit dem Apple TM -T-Shirt? Siehst du den Typ mit seiner Ferrari TM -Kappe?«
»Ja, ja.«
»Und den Mann mit seinem Deutsche Bank TM -Regenschirm?«
»Ja.«
»Siehst du das Mädchen in der Levis TM -Jeans, mit den Converse TM -Schuhen, die das DIESEL TM -T-Shirt anhat und darüber die Tommy-Hilfiger TM -Jacke trägt?«
»Ja.«
»Die Konzerne bezahlen nicht dafür, dass du dich prostituierst. Du sollst dich ihnen willig hingeben.«
»Willst du mir zu verstehen geben, dass meine Protestaktion kein Aufsehen erregen wird?«
»Nun ja«, sage ich. »Entweder handelt es sich hier um eine der größten internationalen Protestwellen der Geschichte, von der nur wir beide nichts mitgekriegt haben, oder, ja, niemand wird deinen Protest als Protest verstehen.«
»Na ja«, sagt das Känguru und zieht einen Sixpack Bio-Brause TM aus seinem Beutel. »Der Pfandautomat nimmt auch volle Flaschen.«
Ich wache auf. Sofort habe ich das ungute Gefühl, dass irgendetwas passiert und ich der Einzige bin, der nicht weiß, was. Ich stehe auf. Vor dem Badezimmer steht ein junger Mann in schwarzer Jeans und schwarzem Kapuzenpulli. Über den Händen trägt er rote Boxhandschuhe. Er sieht mich, versucht zu salutieren, schlägt sich aber wegen des klobigen Boxhandschuhs stattdessen aufs Auge. Ich mustere ihn einige Sekunden skeptisch, dann sage ich nichts und gehe weiter. Im Wohnzimmer steht eine ganze Horde schwarz gekleideter junger Menschen mit roten Boxhandschuhen, die alle, sobald sie mich sehen, salutieren und sich dabei aufs Auge schlagen.
Das Känguru steht auf dem Tisch und ruft:
»Die erste Regel des Boxclubs lautet: Ihr redet nicht über den Boxclub!«
Ich seufze.
»Die zweite Regel des Boxclubs lautet«, schreit es,
»… äh … Moment. Ich hab’s gleich …«, es kramt in seinem Beutel, »… ich hab’s mir irgendwo aufgeschrieben … äh … die zweite Regel des Boxclubs ist … äh …«
»Ihr redet nicht über den Boxclub«, sage ich.
»Genau!«, ruft das Känguru. »Die zweite Regel des Boxclubs lautet: Ihr redet nicht über den Boxclub!« Einige Zuhörer machen sich Notizen. Ich dränge vor zum Tisch. Man macht mir Platz. Ich gebe dem Känguru ein Zeichen, und es beugt sich zu mir herunter.
»Was wird das hier?«, frage ich leise.
»Das ist der Boxclub«, flüstert das
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