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Das Känguru-Manifest

Das Känguru-Manifest

Titel: Das Känguru-Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Uwe Kling
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geschafft.«
    »Ich wünschte, ich wäre tot«, sagt die Frau.
    »Wie bitte?«, fragt das Känguru.
    »Erzählen Sie ruhig weiter«, sagt die Frau. »Haben Sie irgendwelche Wunschvorstellungen?«
    »Äh … also … ich könnte mir gut vorstellen, mich hinter eine Theke zu stellen und Schnaps zu trinken«, sagt das Känguru.
    »Referenzen?«
    »Ja. Von meinem letzten Arbeitgeber habe ich ein Arbeitszeugnis bekommen, auf das ich wirklich stolz bin.«
    »So?«, fragt die Frau und seufzt. »Zeigen Sie mal.«
    Das Känguru kramt in seinem Beutel.
    Auf dem Schreibtisch klingelt das Telefon. Die Frau nimmt ab.
    »Ja?«, fragt sie.
    »Aha. – – Ja. – – Ja. – – Aha. – – Ja«, sagt sie und beginnt sich dabei, den Hörer gegen die Stirn zu schlagen.
    »Aha. – – Ja. – – Ja.«
    Das Känguru blickt mich besorgt an. Ich zucke ratlos mit den Schultern.
    »Ja. Wird gemacht«, sagt die Frau und legt auf. Einige Sekunden blickt sie ins Leere.
    »Äh … hier ist das Zeugnis …«, sagt das Känguru und reicht ihr ein Papier.
    »Danke«, sagt die Frau.
    »Aber Obacht«, sagt das Känguru, »das liest sich positiver, als es gemeint ist. Die benutzen da immer so ’nen Kapitalistengeheimcode.«
    Die Frau liest laut vor:
    »Das Känguru war bei seiner Arbeit immer unkreativ, unpünktlich, unflexibel, desinteressiert, nicht belastbar, kaum teamfähig, schwer zu begeistern und unkreativ. Vorgesetzten gegenüber war es unfähig, sich unterzuordnen, vulgär, obszön und gelegentlich handgreiflich. Vom Tacker bis zum Flachbildschirm waren alle ihm zugeteilten Arbeitsgeräte innerhalb von Stunden nicht mehr auffindbar. Schon am zweiten Arbeitstag versuchte es mit einigem Erfolg, einen Generalstreik zu organisieren. Die Firma sah sich gezwungen, nach neun Tagen eine fristlose Kündigung auszusprechen, zu diesem Zeitpunkt war das Känguru allerdings schon mehrere Tage nicht mehr an seinem Arbeitsplatz erschienen. Die Zustellung der Kündigung erwies sich aus diesem Grund und auch wegen der falsch angegebenen Adresse als schwierig. Auf die Einstellung der Gehaltszahlungen reagierte das Känguru mit einer Klage vor dem Arbeitsgericht. Mehrfach bezeichnete es in dem darauf folgenden Prozess seine Vorgesetzten und die Gerichtsdiener als verdammte Faschisten. Auch fragte es den Richter, ob er nicht mitbekommen habe, dass sich einige Gesetze seit den 40er Jahren geändert hätten. Nach verlorenem Prozess drohte es damit, dreckige Firmengeheimnisse zu veröffentlichen. Obwohl der Firmenleitung unklar war, von welchen dreckigen Geheimnissen das Känguru sprach, wurde es sicherheitshalber wieder eingestellt und ist seitdem nie wieder am Arbeitsplatz erschienen. Teile der Belegschaft sind bis zum heutigen Tag immer noch aufmüpfig und ungehorsam.«
    Die Frau lässt das Zeugnis sinken.
    »Und was daran liest sich positiver, als es gemeint ist?«, fragt sie.
    »Nächster Satz«, sagt das Känguru.
    Sie liest: »In den fünf Tagen, die es tatsächlich bei uns gearbeitet hat, hatte es allerdings durch seine Geselligkeit zur Verbesserung des Betriebsklimas beigetragen.«
    »Hä?«, frage ich verwundert.
    »Das ist ein Code für übertriebenen Alkoholkonsum«, sagt die Frau.
    »Du hast gesoffen auf Arbeit?«, frage ich.
    »Ich kann das verstehen«, sagt die Frau und holt einen Flachmann aus ihrer Schublade.
    »Aber nur Wodka«, sagt das Känguru.
    »Wodka?«, frage ich.
    »Alter! Ruf du mal den ganzen Tag wildfremde Leute an und frag, ob sie sich, wenn am Sonntag Neuwahl wäre, am Montag eine neue Digitalkamera kaufen würden.«
    »Ich mache Ihnen ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können«, sagt die Frau und nimmt noch einen Schluck. »Ich erhöhe Ihren Satz, und wir vergessen, dass Sie jemals hier waren. Dafür bleiben Sie, bevor sie den Nächsten reinschicken, noch eine halbe Stunde ohne ein Geräusch zu machen hier sitzen.«
    Sie legt ihren Kopf auf den Schreibtisch und schließt die Augen.

»Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein.«
Friedrich Schiller
    Ich stehe vor dem Supermarkt und warte. Der Pinguin fährt in einem Sportwagen vor, parkt in zweiter Reihe, watschelt in den Supermarkt, kommt mit einem Energy-Drink in der Flosse zurück, steigt ins Auto und ist wieder verschwunden. Das Känguru hüpft mit einer Flasche in der Pfote um die Ecke und ruft: »Ob im Club oder zu Hause – Hauptsache BioBrause TM !«
    »Was hast du gerade gesagt?«, frage ich.
    Es trägt ein mit fünf Worten bedrucktes T-Shirt: »Hier könnte Ihre

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