Das Känguru-Manifest
natürlich.«
»Besser!«, steht mit Rot daneben. »Bei den Worten ›Nazi! Bedenke!‹ kommen mir zwar gleich Sätze wie ›Tauber! Höre!‹ oder ›Blinder! Sieh!‹ in den Sinn. Als rhetorische Figur aber i. O.«
»Es muss ganz schön anstrengend sein, mit den Korrekturen auf dem Laufenden zu bleiben«, sage ich.
»Du machst dir keine Vorstellung«, sagt das Känguru.
Ich entdecke ein Graffito auf der gegenüberliegenden Straßenseite und deute darauf. »Hitler ist besser wie der Kapittalismus«, steht da.
Das Känguru schüttelt entsetzt seinen Kopf. Wir hüpfen über die Straße 7 , und es beginnt zu sprühen:
»Huiuiuiuiui. Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Also rein formal: Kapitalismus mit Doppel-T. Ist das dein Ernst? Außerdem ist der Typ tot. Wie wäre es also mit Präteritum? Und natürlich: ›als‹! Jetzt inhaltlich: Meiner Meinung nach kann man die komplette sogenannte Kapitalismuskritik von rechts, also Kritik an ausländischen Heuschrecken, Ruf nach einem nationalen Protektionismus etc., auf den selten dummen Satz: ›Als Deutscher steht es mir zu, von einem Deutschen ausgebeutet zu werden‹ reduzieren.«
Das Känguru schüttelt seine Spraydose. Als es ansetzt, den nächsten Satz zu schreiben, bemerke ich, dass wir nicht mehr alleine sind. Die Verfasser des ursprünglichen Statements oder ein paar ihrer Geistesbrüder stehen auf der anderen Straßenseite und beobachten uns.
»Was tun?«, frage ich.
»Möööp! Wie heißt Lenins Hauptwerk?«, antwortet das Känguru.
»Wir spielen hier nicht Jeopardy !«, flüstere ich. »Kuck mal, die Typen da drüben!«
Das Känguru wirft einen kurzen Blick über die Schulter. »Da muss man sich nicht lange fragen, bei welcher Partei die ihr Hakenkreuz machen«, sagt es. Der Trupp beginnt, die Straße zu überqueren. Sie sind von recht unterschiedlicher Gestalt. Der Erste ist ziemlich klein, der Zweite sehr groß, der Dritte sehr dick, und der Vierte hat Haare.
»Was sollen wir denn jetzt machen?«, frage ich.
»Fragen wir sie doch mal«, sagt das Känguru und dreht sich zu den Neuankömmlingen.
»Wen was fragen?«, fragt der Kleine.
»Bonjour!«, sagt das Känguru gutgelaunt.
Die Augen des Kleinen zucken.
»Wat für ’ne Uhr?«, fragt der Große.
»Na, was sollen wir denn jetzt mit euch machen?«, fragt das Känguru.
»Inwiefern?«, fragt der mit den Haaren.
»Na, immer wenn man auf euch Nazis trifft, will man ja was gegen euch machen«, sagt das Känguru. »Man fragt sich nur, was.«
»Was?«, fragt der Kleine.
»Ja, genau«, sage ich. »Was.«
»Setzt euch doch politisch mit uns auseinander«, sagt der mit den Haaren.
Ich muss lachen.
Er auch.
»Was genau macht ihr hier eigentlich?«, sagt der Kleine.
»Wonach sieht es denn aus?«, fragt das Känguru.
»Es sieht so aus, als ob ihr Stress sucht!«
»O nein!«, sagt das Känguru. »Ganz im Gegenteil. Wir möchten uns gerne bei euch auf ein Praktikum bewerben.«
»Was?«, fragt der Große.
»Welches Wort hast du nicht verstanden?«, fragt das Känguru. »Wir möchten uns gerne bei euch auf ein Praktikum bewerben.«
»Wir haben aber keine Praktikumsstelle ausgeschrieben«, sagt der Kleine und spuckt auf den Boden.
»Ja, das ist eine Initiativbewerbung«, sage ich. »Wir sind flexibel, belastbar, innovativ, kreativ, teamfähig, begeisterungsfähig und kreativ.«
»Wir würden gerne neue Soft Skills erlernen durch die Beteiligung an Regionalligaspielen, Hetzjagden, Landtagen und was ihr sonst noch so treibt«, sagt das Känguru.
»Saufen!«, ruft der Große.
»Halt die Klappe, Blödkopf«, sagt der Dicke.
»Einen Moment, bitte«, sage ich in die plötzlich entstandene Pause hinein. »Strategiebesprechung.« Ich flüstere dem Känguru ins Ohr: »Was ist hier der Plan? Du willst sie so wütend machen, dass unser Tod kurz und schmerzlos wird?«
»Nein, nein«, flüstert das Känguru. »Uns kann nichts passieren. Vertrau mir.«
Ich seufze.
»Also?«, fragt der Kleine.
»Das ist eine Initiativbewerbung«, sage ich.
»Diese Fremdwörter!«, schreit er. »Die rauben anständigen deutschen Wörtern ihren Platz auf der Satzbaustelle! Sprecht Deutsch mit mir! Glaubt ihr wirklich, wir würden hier stehen, wenn …«
Er stockt.
»Wenn ihr ein wenig Bildung genossen hättet?«, versucht ihm das Känguru zu helfen.
»Wenn wir ein wenig Bildung genossen hätten?«, übernimmt er den Vorschlag.
»Nein, sicherlich nicht …«, versuche ich ihn zu beruhigen.
»Na seht ihr!«,
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