Das Kainsmal
irgendwie die Puste aus. Sie erschlaffte. Und wir Blödiane standen da mit Gemüse in der Hose und Gummibändern um den Pimmel.
Unser großer Fehler war, dass wir Rant Casey vertraut hatten.
Und das mit den Gummibändern war ein noch größerer Fehler. Nichts tut so weh, wie ein völlig verdrehtes Gummiband loszuschneiden, das sich in den Schamhaaren verheddert hat.
Lowell Richards: Der ausgehandelte Kompromiss bedeutete für Rant ein neues Schulzeugnis mit sehr gutem Notendurchschnitt und besonderer Auszeichnung und obendrein Teilnahmebescheinigungen für sämtliche Sportarten. Rant Casey, der niemals auch nur einen Ball getreten hatte oder auch nur einen einzigen Schritt gelaufen war.
Wenn er jemals bei einem Klassentreffen aufgetaucht wäre, die Männer von Middleton hätten Schlange gestanden, um ihn zu töten.
Bodie Carlyle: Ein Scheck zum Examen - und nicht bloß ein Zeugnis. Beides nur Papier, aber man hat sich nun mal drauf geeinigt, dass es mehr ist als nur Papier. Der offizielle Schritt von der Lüge zur Realität.
Rant hatte erkannt, dass man selbst Realität schaffen kann. Es war wie bei dem Geld von der Zahnfee. Wenn genug Leute an eine Lüge glauben, ist es eben keine Lüge mehr.
Mary Cane Harvey: Nach so vielen Jahren finde ich auf einem Pult in meinem Klassenzimmer die eingeritzte Inschrift: »Rant Casey hat sich verdrückt.«
Leif Jordan: Sicher, einige haben es Rant nie verziehen, dass er uns verraten hat. Aber den meisten war es egal. Wir schüttelten die Möhren aus unseren Hosen, und alles war wieder wie vorher.
Irene Casey (
Rants Mutter): Wir konnten uns nur ganz schlichte Kleidung leisten, aber die habe ich mit Stickereien oder Nieten verschönert. Jungen sind doch ganz verrückt nach glänzenden Verzierungen. Manchmal habe ich auch Bändchen oder Zickzackstreifen draufgenäht. Ich weiß, Buddy hat diese Sachen immer gern getragen. Er ist darin zur Schule gegangen und hat sie sehr pfleglich behandelt.
Als er von zu Hause wegging, hat er sie alle eingepackt, um sie auch in der Stadt zu tragen. So stolz war er darauf.
14
Der Aufbruch
Bodie Carlyle (
Freund aus Kindertagen): Rants Klamotten zu entsorgen, das war eine Menge Arbeit für uns zwei. Am Abend bevor er von zu Hause wegging, tat er so, als würde er sie in seinen Koffer packen. Stattdessen tat er sie in Müllsäcke, Hemden und Hosen, alle ordentlich gefaltet. Seine Mutter hatte ihr halbes Leben mit dieser Stickerei vergeudet. Den jungen Teil ihres Lebens hatte sie damit verbracht, schlichte Bluejeans mit Nieten und zusätzlichen Aufnähern zu dekorieren. Rant klemmte sich jedes einzelne Hemd unters Kinn, strich die Falten an seiner Brust glatt und legte die Ärmel zusammen. Und knöpfte alle Knöpfe zu. Die gefalteten Hosen und Hemden legte er stapelweise in die schwarzen Plastiksäcke.
Wir gingen los, ließen den ersten Horizont hinter uns, die Ölweiden, die hier als Windschutz dienten, brachten insgesamt drei Horizonte jenseits der Casey-Farm hinter uns, bis dann fast der Morgen anbrach. Wir kamen nicht recht weiter, und Rant zog ein Hemd aus einem der Säcke. Er hielt es mit einer Hand am Kragen hoch und hatte plötzlich ein Feuerzeug in der anderen. Er ließ es aufflammen und besah sich bei dem schwachen Licht die bunten Batikfarben. Das Meisterwerk seiner Mutter. Es wurde immer heller und bunter, dieses Hemd, bis Rant es loslassen musste und es ihm flackernd vor die Füße fiel. Im Feuerschein leuchteten hier und da kleine Schlangenbisse gelb auf, Augen von Hunden, Kojoten und Stinktieren blitzten, Aasfresser musterten uns. Sie alle hatten Zähne in Rants Haut geschlagen.
Echo Lawrence (
Party-Crasher): Wenn man Rant zum ersten Mal sah, fielen einem als Erstes die Zähne auf. Statt Kaugummi zu kauen, nahmen er und die anderen Bauernjungen einfach Teer von der Landstraße. Im Sommer quoll schwarzer Teer aus den Rissen im Asphalt, und auf dem kauten sie herum. Die Zähne, die sie an die Zahnfee verkauften, waren pechschwarz.
Bodie Carlyle: Rant nahm sein Radio mit, wenn er nachts in die Wüste ging. Spielte am Senderknopf rum, um von irgendwo auf der Welt Verkehrsnachrichten zu empfangen. Autounfälle, was weiß ich. Grinsend hielt er sich das Radio ans Ohr und lauschte. Mit geschlossenen Augen sagte er: »Irgendwo ist immer Hauptverkehrszeit.«
Aus dem Verkehrsfunk von Radio Graphic Traffic: Auf dem Freeway 417 auf Höhe der neunundsiebzigsten Meile in nördlicher Richtung
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