Das Kainsmal
aber nie anders aus.
Neddy Nelson: Wie ist es zu erklären, dass Mrs. S.W. Culp, eine Hausfrau in Illinois, als sie ein Stück Kohle auseinanderbrach, darin eingeschlossen ein goldenes Halsband fand?
Aus den Aufzeichnungen von Green Taylor Simms: So öde diese Ortschaften auch wirken, es gibt in ihnen ein großes sexuelles Potential. Nur die schönsten und begehrenswertesten Menschen bleiben hier hängen. Junge Männer und Frauen, die perfekte Brüste und Muskeln entwickeln, noch ehe sie wissen, wie sie sie nutzen können, werden schwanger oder Väter und bleiben im Sumpf der Heimatdörfer stecken. Dieser Teufelskreis sorgt dafür, dass sich an den unscheinbarsten Orten das beste genetische Material konzentriert. Middleton zum Beispiel. Kleine Nester voller außerordentlich attraktiver Dorftrottel, die Kinder bekommen, die dann wiederum ihre öde Kindheit und Jugend hier zu verbringen gezwungen sind. Venusse und Apollos. Kleinstadtgötter und -göttinnen. Wenn Middleton in der langweiligen, unbedeutenden staubigen Geschichte seiner Existenz jemals auch nur ein einziges Individuum von Bedeutung hervorgebracht hat, dann war dies Rant Casey.
Echo Lawrence: »Der wahre Grund, warum die Leute aus der Provinz fortziehen«, pflegte Rant zu sagen, »ist der, dass sie davon träumen können, wieder dorthin zurückzukehren. Und der Grund, warum sie dableiben, ist der, damit sie davon träumen können, von dort wegzugehen.«
Rant meinte: Niemand ist glücklich, nirgendwo.
Aus den Aufzeichnungen von Green Taylor Simms: Die zentrale Metapher für Macht in Middleton und insbesondere in der Familie Casey war das Festtagsmahl an kirchlichen Feiertagen. Bei diesen Gelegenheiten - Ostern, Erntedank und Weihnachten - teilte sich die Familie in zwei Klassen. Die Erwachsenen speisten vom alten Porzellan, das sich seit Generationen im Besitz der Familie befand: Teller mit handbemalten Rändern, Blütengirlanden und Vergoldung. Die Kinder saßen an einem Tisch in der Küche, der eigentlich gar kein Tisch war, sondern eine Ansammlung von mehreren Klapptischen.
Echo Lawrence: In der Küche war alles aus Papier, Servietten und Tischtuch und Teller, so dass man das Zeug einfach zerknüllen und in die Mülltonne schmeißen konnte. Wenn die Erwachsenen der Familie Casey das Brot brachen, sprachen sie immer dasselbe Tischgebet: »Komm, Herr Jesu, sei unser Gast, und segne, was du uns bescheret hast.«
Aus den Aufzeichnungen von Green Taylor Simms: Familienmitglieder, die immer noch am Kindertisch hocken mussten, obwohl sie bereits in die Jahre gekommen waren, beteten um Salmonellen. Um Gräten, die in Luftröhren stecken bleiben. Die Jüngeren fassten sich an den Händen und beteten gesenkten Kopfs um massive Schlaganfälle und Herzinfarkte.
Echo Lawrence: Rant pflegte zu sagen: »Der größte Trost im Leben ist, dass man über die Schulter zurückblicken kann und in der Schlange hinter sich Leute sieht, die noch viel schlechter dran sind.«
Shot Dunyun: Bevor wir abends zu unseren Crash-Partys aufbrachen, gingen wir immer essen, und Green Taylor Simms sah höhnisch grinsend zu, wie Rant alles mit ein und derselben Gabel aß. Rant war kein Trottel, er hat es bloß nie verwunden, dass er früher immer Plastiklöffel benutzen musste.
Green nannte Rant hinter seinem Rücken »Huckleberry Fagg«.
Aus den Aufzeichnungen von Green Taylor Simms: Mr. Dunyun nannte Rant »Zahnfee«.
Echo Lawrence: Also. Gegen Mitternacht hielten Shot Dunyun und ich in Middleton an der Abzweigung zu ihrem Bauernhof neben einem Briefkasten, auf den der Name »Casey« gepinselt war. Das Haus stand mitten in einem Getreidefeld. Weißer Anstrich, großes Dach, breite Veranda, und über der Veranda eine Dachluke: Rants Mansarde mit der Cowboy-Tapete.
Direkt am Haus wachsen Sträucher und Blumen, frisch gemähtes Gras liegt auf dem Hof, der sich bis an einen Maschendrahtzaun erstreckt. Halb versteckt hinter dem Haus eine braun gestrichene Scheune. Ansonsten nichts als Weizen bis an den flachen Horizont, der uns, die wir in Neddys Cadillac sitzen, auf allen Seiten umgibt. Shot fummelte am Senderknopf, um die neuesten Verkehrsmeldungen reinzukriegen.
Aus dem Verkehrsfunk von Radio Graphic Traffic: Nur ein Hinweis. Beachten Sie den kleinen Unfall mit Blechschaden auf dem rechten Seitenstreifen der City-Center-Autobahn auf Höhe der siebenundsechzigsten Meile in westlicher Richtung. Beide Fahrzeuge gehören ganz
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