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Das Kainsmal

Titel: Das Kainsmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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ich von diesem Casey weiß. Ob ich aggressive Neigungen an ihm bemerkt habe? Ob der Junge mich mal geküsst habe? Oder gebissen? Mir so verrückte Fragen zu stellen.
     
    Lynn Coffee: Meiner Meinung nach hatte Caseys Tod etwas Theatralisches. Erstens war er darauf bedacht, in dieser Nacht das größte und am besten beleuchtete Auto zu fahren; er hatte es ja buchstäblich mit Lichterketten überhäuft und mit Benzin Übergossen und fuhr im Zickzack durch das Spielfeld, um so viele Crasher wie möglich auf sich aufmerksam zu machen. Dazu die Fernsehhubschrauber, und wie er beim Sender anrief und erst aufhörte zu reden, als er verbrannt war. Und dass Casey direkt in Sichtweite mehrerer Streifenwagen eine rote Ampel überfuhr, scheint doch ebenfalls Berechnung gewesen zu sein: Er wollte eine möglichst laut- und lichtstarke Eskorte ins nächste Leben haben.
     
    Aus den Aufzeichnungen von Green Taylor Simms (

Historiker): Wie kompensiert man den Verlust eines Kameraden?
    Rückblickend frage ich mich manchmal, ob wir Rant Casey nicht erfunden haben. Wir, unsere Gruppe. Ob wir nicht vielleicht einen wilden Mythos brauchten, um unser eigenes Leben aufzuwerten. Einen strahlenden Antihelden, dessen Eskapaden wir - Mr. Dunyun, Miss Lawrence und ich - überlebt hatten, um von ihm erzählen zu können. In dem Augenblick, als Rant auf dem Fernsehschirm explodierte, als sein Wagen in Flammen aufging, wurde er zur Legende, er wurde zu unserer mythischen Crash-Party-Vergangenheit, von der wir erzählen konnten. Und im Rampenlicht seines lodernden Benzins würden auch wir zur Legende werden.
     
    Symon Praeger (

Party-Crasher): Schon seltsam. Mehr als tausend Leute hatten in den letzten Jahren an Crash-Partys teilgenommen. Einige hatten ein Schleudertrauma erlitten, aber schlimmere Verletzungen hatte es nie gegeben. Keiner hat sich was dabei gedacht. Wir waren naiv gewesen. Als wir dann sahen, wie sehr das ins Auge gehen konnte - Scheiße, wir konnten sterben, wir konnten bei lebendigem Leib verbrennen -, da ging es mit den Crash-Partys rapide bergab.
     
    Aus den Aufzeichnungen von Green Taylor Simms:
    Ich will mich nicht als Moralapostel aufspielen, aber manchmal rechtfertigt der Tod eines Einzelnen den Tod einer ganzen Kultur.
     
    Lynn Coffee: Am dritten Tag nach Rant Caseys Tod zogen die Bergungsboote sein Auto aus der Fahrrinne des Flusses. Fast drei Stunden dauerte es, bis sie die schwarz verkohlte Karosserie des Cadillac Seville in Höhe der Madison Street aus dem Fluss geholt hatten - auf dem Dach befand sich noch das verkohlte Skelett eines Weihnachtsbaums.
     
    Neddy Nelson (

Party-Crasher): Müsste die Regierung nicht alles daransetzen, dass Rant Casey nicht zu unserem Märtyrer wird? Sind Menschen in Bedrängnis auf der Suche nach Trost nicht schon immer in Kirchen gegangen? Haben sie dort nicht andere Bedrängte getroffen? Sind nicht alle Revolutionen so entstanden, dass Leute zusammenkamen, um sich ihr Leid zu klagen, zusammen Lieder zu singen und sich schließlich gegenseitig anzuspornen, die missliche Lage gewaltsam zu ändern?
    Waren die Crash-Partys nicht unsere Kirche, unsere Art von Gottesdienst? Wenn wir bei den Boxenstopps herumstänkerten, waren wir dann nicht die Revolution, die jede Nacht beinahe ausbrach ... beinahe ausbrach ... und immer wieder nur beinahe ausbrach, weil wir dann doch lieber nur uns selber rammten? Wäre damals ein Anführer erschienen - Rant Casey oder irgendein anderer -, wäre unsere Armee dann nicht bereit zum Kampf, bereit zum Sterben gewesen? Wären wir nicht unbesiegbar gewesen?
     
    Aus den Aufzeichnungen von Green Taylor Simms:
    In Wirklichkeit trauern wir um tausend Fahrzeuge, in denen gemampft, geflirtet und Gesprächstherapie betrieben wurde. Das war eine Form von Bewusstseinsbildung. Wir fanden Anschluss, wir träumten, machten Pläne, veränderten vielleicht sogar wirklich ein wenig die Welt. Seit jener Nacht ist jede Nacht zu einer Leichenschau der Crash-Partys geworden. Obduziert wird aber nicht Rant Casey, sondern eine Subkultur, von der manche Nachtgänger geglaubt haben, sie hätte ihre Lebensqualität verbessert.
     
    Lynn Coffee: Die Fenster des verbrannten Cadillac waren fest verschlossen, so dass die Samtbezüge der Polster so gut wie keine Brandspuren aufwiesen. Augenzeugen zufolge stand die Automatik noch auf D, auch die Scheinwerfer waren noch eingeschaltet, nur dass die Batterie unter Wasser längst den Geist aufgegeben hatte. Des weiteren fanden sich in

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