Das Kairos-Prinzip: So finden Sie den richtigen Zeitpunkt für den beruflichen Wechsel
Mittelpunkt. Sie hatte das Coaching bei mir begonnen, um sich längerfristig auf eine nächste Führungsposition vorzubereiten. Als Führungskraft im Vertrieb eines internationalen Technikkonzerns war sie für eine bestimmte Sparte zuständig. Ihr Team zählte 25 Mitarbeiter, die an vier Standorten weltweit agierten. Neben ihrer Personalverantwortung hatte die Ingenieurin viel Kontakt zu Kunden und war in strategische Prozesse eingebunden. Für eine 37-Jährige hatte Tanja schon eine Menge Erfahrung, weswegen man ihr erst vor ein paar Monaten in Aussicht gestellt hatte, dass sie in zwei Jahren die Position ihres Vorgesetzten einnehmen könnte, der dann in Ruhestand gehen würde. Nun aber war eine andere Position plötzlich sofort freigeworden, weil die dortige Führungskraft gesundheitsbedingt früher ausscheiden musste. Das Management hatte Tanja diese Stelle angeboten, mit dem Hinweis, dass die Nachfolge ihres Chefs in zwei Jahren aus internen Gründen vielleicht anders nachbesetzt werden würde. Jetzt musste Tanja schnell eine Entscheidung treffen. Generell gefiel ihr der Gedanke, zukünftig mehr Führungsverantwortung zu haben. Doch irgendetwas ließ sie gerade jetzt zögern.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir vor Tanjas Datenchart standen. Ich bat Tanja zunächst, mir ihren Werdegang unter dem Aspekt beruflicher Veränderungen zu erzählen. Während ich ihr zugehört habe, fiel mir ein Muster in ihren bisherigen Entscheidungsprozessen auf. »Früher haben sich die Entscheidungen ›so ergeben‹, haben Sie mehrmals gesagt. Sie haben nicht ›bewusst‹ entschieden. Was ist jetzt anders?«, will ich von ihr wissen. »Ich müsste plötzlich aktiv eine Entscheidung treffen und mich gegen meine alte Stelle entscheiden. Es wird mir einerseits offengelassen, ob ich mich entscheide, aber ich spüre auch einen deutlichen Erwartungsdruck, dass ich die neue Stelle annehme. Und es besteht das Risiko, dass ich dadurch den Aufstieg auf längere Sicht hin verpasse. Aber mit diesem Zeitdruck ist mir nicht wohl dabei«, gibt Tanja zögernd zurück. »Wie äußert sich denn dieses Unwohlsein? Wo spüren Sie das?«, ermuntere ich sie, dem Gefühl weiter nachzugehen. »Da ist so ein Knoten im Bauch.« »Was sagt der ›Knoten‹?«, führe ich die Körperempfindung weiter. »Es ist nicht richtig, zu früh, lass es lieber …«, forscht Tanja nachdenklich ihrem Bauchgefühl nach. »Aber dabei erwarten doch alle, dass ich annehme! In zwei Jahren sollte ich doch sowieso in die höhere Position wechseln. So ist es vereinbart, ich habe bisher einen sehr guten Job gemacht, alles scheint zu passen und dafür zu sprechen!«, schaltet sich jetzt ihr Kopf ein. Ich gebe ihr Recht, doch es handelt sich um rein rationale Argumente. Das, was sich vage andeutet und meine Klientin zögern lässt, ist der bislang weniger bewusste Anteil der Entscheidung. Dieses unbewusste, intuitive Bauchgefühl versuche ich nun Tanja zugänglich zu machen, indem ich stärker darauf eingehe: »Aber Ihr Bauch warnt Sie«, gebe ich diesem Anteil Gewicht. »Lassen Sie uns einmal schauen, ob wir in Ihren beruflichen Veränderungen einen Rhythmus finden.«
Tanja war sofort einverstanden, wir hängten ihre Datenchart-Blätter zur Rhythmusanalyse untereinander. Gemeinsam schauten wir uns nun den Rhythmus der bisherigen Wechsel in Tanjas beruflicher Karriere an: Alle drei Jahre hat ein kleinerer Wechsel stattgefunden, alle fünf Jahre machte Tanja einen größeren Karrieresprung, der jeweils deutlich mehr Verantwortung bedeutete. Und da fällt es auch meiner Klientin auf: Der nächste größere Sprung wäre exakt in zwei Jahren »dran«. Ihr Bauchgefühl war also sehr akkurat mit seiner »Zu-früh«-Aussage.
Die höhere Position jetzt schon anzunehmen, hätte also nicht Tanjas natürlichem Rhythmus entsprochen. Bei genauem Hinsehen gab es außerdem ganz objektiv auch einen weiteren negativen Faktor. Denn Tanja hätte bei dem sofortigen Wechsel einen neuen Vorgesetzten, der anders als ihr jetziger Chef kein wohlwollender Mentor für sie sein würde.
Tanja musste sich nun die Frage beantworten, ob sie sich dieses Mal bewusst gegen das bisherige Zeitmuster entscheiden und den nächsten größeren Sprung zu diesem Zeitpunkt wagen wollte.
Ich schlug ihr vor, gemeinsam ihre Biografie auf persönliche Fähigkeiten und Ressourcen hin zu untersuchen, die sie früher schon bei beruflichen Wechseln eingesetzt hatte. Außerdem schauten wir sehr genau, was die
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