Das kalte Gift der Rache
fragte mich, wohin er nun unterwegs war. Vielleicht hatte er irgendwo noch einen anderen Schlupfwinkel. Was war mit dem armen kleinen Mädchen, das er sich gekrallt hatte? Wo war sie? War sie mit ihm im Allrad? Oder hatte er sie auch ermordet? Ich knirschte mit den Zähnen, worauf es in meinem Kopf noch schlimmer hämmerte und ich mich fragte, was für eine blöde Schmerztablette sie mir da gegeben hatten. Da erblickte ich etwas hoch in den Bäumen, das in dem eintönigen Schwarz-Weiß aus Bäumen und Schnee fehl am Platz wirkte.
»Hat diese Kiste einen Scheinwerfer, Black?«
»Ja, ein hübsches Extra und sehr effektiv.« Er schaltete den an der Fahrerseite befindlichen Scheinwerfer an, und ich zeigte auf eine große Eiche links von uns, ungefähr fünfundzwanzig Meter entfernt.
»Schau da mal hinauf, ganz hoch. Siehst du’s? Die ganz dicke Astgabel.«
Black bewegte den Lichtkegel langsam über tief verschneites Unterholz hinweg. Dann lenkte er den Hochleistungsstrahl auf den Zielpunkt. »O mein Gott.«
An einem Ast befestigt hing ein schwarzer Müllsack. Er baumelte im Wind hin und her, aber der Kopf am oberen Ende war deutlich sichtbar, genauso wie bei Classon.
Mein Magen machte einen Salto vorwärts. »Er ist ein Serienmörder. Such die restlichen Bäume ab.«
Black glitt mit dem gleißenden Scheinwerferlicht von Baum zu Baum und enthüllte so einen schwarzen Müllsack nach dem anderen. Tödliche Kokons, an verschneiten Ästen hängend und vom Wind sanft geschaukelt wie Babys in der Wiege. Eine makabre Entsorgungsstätte, die sich in den Wald erstreckte, so weit das Auge reichte.
24
Kaum zwei Stunden waren vergangen, nachdem Black und ich den Baumfriedhof des Killers entdeckt hatten, da erstrahlten die Wälder hinter McKays Haus im Widerschein einer gigantischen Flutlichtanlage. Dick eingemummte Polizisten streiften durch die eiskalte Nacht in dem zwar edlen, aber aussichtslosen Unterfangen, einen Verbrechensschauplatz zu konservieren, der mehrere Tausend Quadratmeter verschneiten und bewaldeten Hügellands umfasste. Charlie war mittlerweile in der Stadt zurück und hatte in einem Wutanfall sondergleichen das gesamte Sheriff’s Departement mobilisiert.
Momentan stand er neben dem Baum, in dem ich den ersten Müllsack erblickt hatte. Um sich zu wärmen, schlug er die behandschuhten Hände aneinander, während ein Captain von der Highwaypatrouille des Staates Missouri ihn über den Ausgang ihrer Suche informierte. Bis dato gab es keine Spur von McKay, seinem Allrad oder dem vermissten Kind. Er hatte das Mädchen auch nicht im Farmhaus zurückgelassen, weder tot noch lebendig, es befanden sich dort jedoch ein paar seiner Kleider und ein weißer Teddybär. Man musste damit rechnen, dass die Kleine sein nächstes Opfer oder, schlimmer noch, sein bislang jüngstes Opfer war.
Black hatte sich verabschiedet, wohl in dem sicheren Vertrauen darauf, dass mir inmitten von zwanzig oder dreißig gut ausgebildeten und bis an die Zähne bewaffneten Polizisten nichts passieren konnte. Er saß mittlerweile in seinem Privatjet, unterwegs nach New York zu einem prominenten Patienten, der in seiner dortigen Klinik kollabiert war. Er hatte mich noch gefragt, ob ich ihn begleiten wollte, worauf ich geantwortet hatte: »Klar, sofort.«
Black war nicht die Bohne überrascht, wusste er doch, wie ernst ich meinen Job nahm. Er nahm seinen ja auch ernst, und nur deshalb ließ er mich allein zurück, nicht aber ohne mich noch eine Viertelstunde lang zu bearbeiten, die Nacht ja bei ihm zu Hause zu verbringen; mein Haus sollte nach krabbelnden oder kriechenden Geschenken unbekannter Freunde abgesucht werden. Ich hatte geantwortet, vielleicht, ja, aber es würde sich noch herausstellen, wo ich die Nacht verbrachte. Wenn mein Haus vom Kammerjäger gründlich ausgeräuchert war, bräuchte ich mir ja keine Sorgen zu machen, aber ich hatte fest vor, meine schwarzorangefarbenen, knöchelhohen Nikes von nun an genau zu untersuchen, ehe ich hineinstieg.
Ich stapfte durch den Schnee auf Buckeye Boyd zu, der etliche Feuerwehrleute beobachtete, wie sie gerade ein Opfer in die Hände eines kriminaltechnischen Teams herunterließen. Buckeyes brauner Parka war offen, darunter trug er einen grünen Laborkittel. Der Witterung nicht unbedingt angemessen. An den Füßen hatte er aber immerhin pelzgefütterte Camouflage-Jagdstiefel. Seine weißen Haare wehte der Wind zurück, sodass eine ausgeprägte Stirnglatze zum Vorschein kam, die er
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