Das kalte Jahr: Roman (German Edition)
wegen des Stummfilms oder weil ich nicht umgeschaltet habe wie sonst.
Ein einsamer alter Adliger lebte auf diesem Schloss zusammen mit seinem noch älteren Diener, erzähle ich weiter, man sah in die leeren Flure und in einen großen Speisesaal hinein, durch die Fenster fiel wenig Licht, es wirkte zugig, unbeheizt, nicht besonders gemütlich auf mich. Der Adlige hieß, so stand es auf einer der Tafeln, Thomas von Weerth, erzähle ich Richard, und verbrachte jeden Tag viele Stunden damit, vor einem Gemälde im Hauptflur seines Schlosses zu sitzen und sich einen darauf abgebildeten Jungen anzuschauen. Es handelte sich bei dem Jungen, das wiederum wusste der Diener, um einen entfernten Verwandten von Thomas von Weerth, einen viele Generationen zurückliegenden Vorfahren.
Der alte Adlige war ganz fasziniert von dem Bild, sage ich und Richard starrt in die Flammen im Ofen, da war etwas an dem Jungen, das ihm sehr vertraut vorkam, die Bildqualität war leider zu schlecht um auszumachen, ob sie sich wirklich ähnlich sahen, aber es muss eine Art von Gemeinsamkeit gegeben haben, sage ich, die von Weerth gespürt hat beim Anblick des Jungen und die über die bloße Abstammung hinausgegangen ist.
Der Junge im Bild trägt jedenfalls, erzähle ich weiter, einen schimmernden Smaragd an einem Lederband um seinen Hals, der den alten Nachkommen besonders fasziniert – an den er ganz nah herantritt, und von dem er glaubt, das konnte man deutlich sehen, trotz der schlechten Qualität, sage ich, das Licht aus den trüben Schlossfenstern würde sich darin brechen und er könnte, wenn er nur nah genug war, seine eigene Spiegelung, eine winzig kleine Version von sich selbst, in den glattgeschliffenen Flächen des Steins erkennen. Als ich das erzähle, denke ich wieder an die Konzertplakate im Eingang zur Kneipe am Hafen, an den Trompeter und seine Augen, erzähle Richard davon aber nichts, sondern weiter vom Verlauf des Films, wie der Diener nämlich bemerkt, dass sein Herr von dem Stein fasziniert ist und ihm erklärt, es handle sich dabei um den sogenannten Todessmaragd , der schweres Unglück über alle Generationen der Familie gebracht hat und jetzt zum Glück an einem geheimen und daher sicheren Ort im Schloss versteckt ist.
Richard sitzt aufrecht wie alarmiert. Er ist im höchsten Maß misstrauisch, und ich muss dabei fast lächeln, wie bei einem Blickduell, das man verliert, kann mich aber doch beherrschen.
In einer Nacht, erzähle ich, in der von Weerth auf dem Sessel im Flur vor dem Gemälde eingeschlafen ist, steigt der junge Vorfahre aus dem Bilderrahmen heraus und weckt seinen Nachkommen, durch sanftes Rütteln am Arm, in einen neuen Traum, sage ich, oder in die wundersame Wirklichkeit. Von Weerth wird von dem Jungen durchs Schloss geführt, die Kamera geht hinter den beiden her wie ein Dritter, bis sie an die Stelle kommen, an der sich das geheime Versteck befindet. Von Weerth hängt sich den Todessmaragd umgehend um den Hals, hält ihn sich vors Gesicht, schaut sein Spiegelbild aus nächster Nähe in den glänzenden Flächen an und bedankt sich bei dem Jungen, der zufrieden zum Bild zurück geht, in den Rahmen steigt und wieder erstarrt.
Danach folgt eine lange Einstellung, in der der Diener auf von Weerth zutritt und seinen Zeigefinger hebt mit einem sehr ernsten Ausdruck im Gesicht und auf der nächsten Schrifttafel, erzähle ich Richard, konnte man dann die Bitte an den alten Adligen lesen, den Smaragd in den Schlossgraben zu werfen, im Wald zu vergraben oder einem Hirsch um die Hörner zu hängen, ihn jedenfalls nicht zu behalten, denn die Folgen wären fatal.
Richard wirft die offenen Hände in die Luft, soweit kommts noch, denke ich, würde danach auf einer Schrifttafel stehen.
Der Diener hat natürlich recht, sage ich, eine Gruppe Gaukler kommt am nächsten Tag zum Schloss, angeführt von einer sehr gutaussehenden Schauspielerin namens Maja und bittet um Einlass und ein Nachtlager für die müden Fußreisenden. Von Weerth, dem vor allem die Schauspielerin sehr gut gefällt, sage ich, lässt das Tor öffnen und die Menschen in sein Schloss kommen, wird dann in der Nacht geplündert und ausgeraubt und es wird sogar ein Feuer gelegt im großen Saal, das sich ausweitet über die Möbel und das Gebälk und schließlich das gesamte Schloss erfasst.
Die Flammen, die sich Thomas von Weerth dann allein und obdachlos von der anderen Seite des Festungsgrabens aus anschaut, sage ich, sahen seltsam aus auf dem
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