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Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Titel: Das kalte Jahr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Ehrlich
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Zweifeln gar nicht viel Zeit, weil gleich geöffnet wurde, von einer jungen Frau, die sagte: Bitte nicht klingeln, das Kind schläft.
    Sie lief voraus in einen dunklen, überheizten Flur, in dem die Luft ganz abgestanden war, über einen muffigen, grob geknüpften roten Teppichboden. Beim Einatmen war mir gleich klar, dass diese Luft vor mir schon mal einer in den Lungen gehabt hatte, mindestens einer, mindestens einmal, dass das Kind, von dem die Rede gewesen war, in diese Luft geschrien und geschwitzt hatte im Schlaf. Die Frau sagte, das ist nett, dass Sie extra vorbei kommen, ich schaff es nicht, das Kind, und sie schaut zu mir zurück mit ihrem ganzen Gesicht im schummrigen Flur. Ich will gerne sagen: Nichts zu danken, bin aber schon viel zu sehr damit beschäftigt, mich an dieses Gesicht zu erinnern.
    Es ist ein um sehr wache Augen herum müde gewordenes und schattiges Gesicht, das ich bestimmt kannte, das wusste ich. Und als wir ins Wohnzimmer treten, einen ebenfalls viel zu heißen Raum, in dem ich auch noch den Staub aus den Sofapolstern rieche, feuchte Achselhaare, warmen Traubensaft, schimmlige Erde in Zierblumenkübeln auf dem Fensterbrett, wo ich Flecken im Teppichboden sehe und Ringe auf dem Couchtisch, da will ich eben ausrufen: In der Schulzeit war ich einmal in dich verliebt!, sehe dann aber einen alten Mann, der langgestreckt auf der Couch liegt, und beherrsche mich doch.
    Ich dachte gleich: Der hätte doch auch mal aufstehen und in den Laden kommen können. Mal was tun. Obwohl ich ihn ja gar nicht kannte.
    Der alte Mann raunte auf, ein langgezogenes Grunzen, drehte sich halb auf die Seite, um uns besser anschauen zu können und lächelte matt, als er den ausgebeulten Stoffbeutel in meiner Hand sah.
    Von der jungen Frau, deren Name jetzt von meinem Kopf in schwerer Rotation um sich selbst gesucht wurde, kam die Frage, ob ich gerne etwas zu trinken hätte, ich sagte nein, dann sah ich, dass der alte Mann eine speckige Wildlederjacke trug, die innen mit einem gelblichen, plattgedrückten Fell gefüttert war und ich sagte: Doch, ja, etwas Gekühltes am besten, danke.
    Ich erfuhr im folgenden Verlauf vieles, ohne mich danach erkundigt zu haben. Die junge Frau, in die ich einmal verliebt gewesen war, als sie noch mit mir in die Schule ging und ich ihren Namen wusste, bestritt das gesamte Gespräch ohne dabei auf Unterstützung angewiesen zu sein. Und ich beobachtete den alten Mann, der von der jungen Frau als alter Löwe entweder bezeichnet oder angesprochen wurde, willst du auch was trinken alter Löwe, fragte sie ihn zum Beispiel, und ich wartete die ganze Zeit darauf, dass er sich auch selbst einmal so nennen würde, in der dritten Person, wie ein Indianerhäuptling, aber er sprach ja fast überhaupt nicht, sondern bewegte sich nur sehr träge und langsam unter diesen schweren Grunzlauten, was zu keiner Zeit meiner vollen Aufmerksamkeit entging.
    Ich sah, wie er sich aufsetzte und vom kleinen Beistelltisch neben dem Sofa ein Plastikdöschen nahm, wie er sich ein paar bunte Pillen in die hohle Hand schüttete und eine Weile mit dem Zeigefinger zwischen ihnen herumwühlte, als suche er eine bestimmte, sich dann aber doch mit einer schnellen Bewegung den ganzen Handflächeninhalt in den Mund schmiss, und ich sah auch, wie die Hand danach noch eine Weile auf seinem Mund liegenblieb, wodurch er wirkte, als habe er gerade aus Versehen ein Geheimnis ausgeplappert.
    Ich erfuhr von der jungen Frau, dass sie kurz einmal für ein Studium in die nächst größere Universitätsstadt gezogen war, das sie aber bald abgebrochen hatte und zurück gekommen war, um eine Berufsausbildung zur Reiseverkehrskauffrau hier im Ort zu beginnen. Das Reisebüro, bei dem sie angestellt war, gebe es mittlerweile nicht mehr, erzählte sie mir, der Laden steht jetzt leer, die Leute wollen offenbar nirgends mehr hin. Es war mir die ganze Zeit nicht klar, ob sie mir diese Sachen erzählte, weil sie für mich die Lücken füllen wollte zwischen unserer Schulzeit und dem Jetzt, also ob sie mich auch erkannt hatte, oder ob sie nur höflich war, mich nicht anschweigen wollte, wie der müde Grunzer auf der Couch.
    Ich musste ja selbst noch damit warten, mein Erkennen zu signalisieren, bis ich sie ansprechen konnte mit ihrem Namen, der auch bestimmt nicht der Name war, den ich von Letterau genannt bekommen hatte, den hatte ich vorher noch nie oder hundertmal gehört, mich aber nicht daran erinnert.
    Ich biete an, den reparierten Videorekorder

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