Das kalte Jahr: Roman (German Edition)
einer von Rauchschwaden durchwaberten Studiobühne, in dicke Pelzwesen aus Kinderserien, die sich gegenseitig plüschige Finger in die bunten Bäuche ihrer Kostüme bohren, in ein Passagierflugzeug, das beim Start einen Feuerschweif hinter sich her zieht, von dem es eingeholt, erfasst und verzehrt wird, es kann danach durchaus ein riesiger Basketballspieler aus dem Gleichgewicht geraten beim Versuch, einen Ball vor dem Seitenaus zu retten, stolpern und in den Pressetisch stürzen, eine hellglänzende Hochhausfassade kann die Sonne und einen hellblauen Himmel reflektieren und eine schwarze Rauchsäule aus einem Indianerdorf aufsteigen. Dafür trage ich nicht mehr Sorge, und nichts davon ist garantiert.
Ich sehe zwei Männer und eine rauchende Frau an einem blutroten Tischtuch in einer sonst menschenleeren Kellerkneipe. Der eine Mann spricht auf den anderen ein. Der Sprecher hat einen silbernen Totenkopf als Krawattennadel, der aus den Augenhöhlen rot aufleuchtet, außerdem einen schmalen Schnurrbart über der Oberlippe, einen Gehstock und auf dem Kopf einen Hut. Er sagt: Es kommen kalte Zeiten, Kollege. Das Zeitalter der Fische. Da wird die Seele des Menschen unbeweglich.
Ich sehe einen langen trüben Tunnel im Untergrund einer Stadt, eine Kanalisation mit knöcheltiefem Wasser, den Lichtkegel einer Taschenlampe, der an den Wänden entlangwandert und schließlich auf einen ängstlichen Jungen trifft. Der Halter der Taschenlampe befiehlt: Gib mir dein Bein her!
Von der Aufnahme einer Endoskopkamera dachte ich, sie hielte sich im Innern eines Menschen auf, in einem Darm oder einer Röhre, bis ich bemerkte, dass die Wände des Durchtasteten aus Erde bestanden, dass es sich um eine Aufnahme aus einem Bau unter der Oberfläche handelte. Und aus der Schwärze, dem Unbekannten, in das die Kamera immer tiefer hineingeschoben wurde, meinte ich auch gleich, etwas auf mich zukriechen zu sehen.
Es gab auch einige Formen und Vorgänge zu beobachten, wenn man lange genug in das schwarz-weiße Gewimmel, das weiße Rauschen zwischen den Sendeplätzen starrte, aber das versuchte ich mir nach wie vor zu verbieten.
Ich drehte den Ton laut auf, und bei jedem Sprung in ein anderes Programm war ein Japsen zu hören. Wie einer, der ertrinkt, sich immer wieder an der Wasseroberfläche festhalten möchte, wo es Luft gibt für die Lungen, japste das Gerät ins nächste Bild, auf einen zerstreuten Mordkommissar, einen interstellaren Krieg, ein gezeichnetes Mädchen mit übergroßen Augen, dem ein sprechender Hase den Weg durch den Wald weist, ein Schwert, das mit viel Mühe in eine schuppige Brust gestoßen wird, ein isotonisches Sportgetränk, das von einer Männerhand fest umschlossen in Zeitlupe, in einem neongrünen Schwall aus der Flasche in einen geöffneten Mund gegossen wird, zwischen sehr weiße Zahnreihen, auf einen schlanken Schauspieler mit falschem Schnurrbart, der in einer Einkaufsstraße Herzinfarkte simuliert, um Fußgänger zu erschrecken.
Immer wieder gab es Missverständnisse, und ich musste mich fragen, ob die Bewohner beim Anschauen dieser nachlässig zusammengestellten Aufnahmen die gleichen Fehler machen würden wie ich. Ob sie zuerst auch sehen würden, wie eine schmale Schlange in einem Wasserbad ertränkt wurde, bevor sie einen Fahrradmechaniker erkannten, der erklärte, wie man einen Schlauch repariert. Ob sie in der künstlichen Nacht eines alten Westernfilms Dinge aufscheinen sahen und gleich wussten: Das ist die Sonne, man behauptet hier nur Dunkelheit, oder ob sie sich auch noch fragen mussten, was da glimmt in blauer Nacht.
Ich fragte mich, ob sie bei einem Trümmerhaufen gleich sagen konnten, ob es sich um einen Krieg handelte oder um Abriss und Wiederaufbau, ob die Sieger von Wettkämpfen beim ersten Jubel starke Schmerzen hatten oder große Freude und ob sie die Superzeitlupenaufnahme einer menschlichen Puppe, deren Kopf in einen aufgeblähten Airbag hineinsinkt, gleich eindeutig als Aufforderung verstehen konnten, sich zu fürchten und vorsichtig zu sein oder sorglos und ohne Angst.
Ich gehe durch die vollgestellte Werkstatt im oberen Stockwerk, in ihr auf und ab, an den Regalen entlang, die Kassette ist voll bespielt, vor den Fenstern Dunkelheit, meine Spiegelung darin, auf und ab gehend, unscharf aufgrund der schlechten Beleuchtung und der doppelten Verglasung. Ich mache ein paar hampelnde Bewegungen, gehe eine imaginäre Kellertreppe hinab, bis sich nur noch mein Kopf über der Arbeitsplatte im
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