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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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Gedanken daran zu verschwenden, weil er Angst hat, darüber wahnsinnig zu werden.
    Oder Seethlaw hat dich angelogen.
    Mit einer Grimasse richtet er sich auf. Es ist eine Hypothese, die er lieber nicht weiter verfolgen möchte. Seethlaw als aldrainischer Kriegsherr, mörderisch, grausam und stolz, inmitten flackernde Blitze einherschreitend, der Inbegriff der Dwendas aus den Mythen, der alles mit leidenschaftsloser Unbekümmertheit niedermacht, was er vor sich hat – damit, mit all dem, kann Ringil leben. Aber Seethlaw, der Dwenda, der unehrenhaft und verführerisch wie eine schmeichelnde Hure vom Hafen sein soll …
    Na gut. Stattdessen ein gewaltiger Abgrund der Zeit, so viel Zeit, dass sogar die Magie der Aldrain schließlich schwächer wird und sich ihr fester Zugriff auf die Kräfte des Verfalls allmählich lockert.
    Hier sind vielleicht eine Erklärung und eine Ausflucht zu finden. Ein Loslassen, das er sich erlauben kann.
    Vielleicht konnte er Seethlaw an den grauen Orten nicht finden, weil irgendein gewaltiger … schiefer … Mechanismus, so etwas wie die langen Orbits der Kometen, die ihm Grashgal einst, am schlaflosen Vorabend der Schlacht von Rajal, zu erklären versuchte, oder warte, warte, einfacher, ein … riesiger Windmühlenflügel in der Zeit zurückgeschwungen ist und das verschwundene Volk erneut mitgenommen hat; eine Kluft von vielen Hunderten von Tausenden Jahren geöffnet und die Aldrainer und alle ihre Künste auf eine unwiderrufliche Art und Weise drüben zurückgelassen hat.
    Was würdest du darum geben, daran wirklich zu glauben, Gil?
    Was würdest du darum geben, es zu leugnen?

    Oh je, Eskiath! Willst du hier auf ewig herumstehen und Trübsal blasen?
    Ringil fährt ruckartig herum, ungläubig. Der Steinkreis um ihn her flackert wie Granitblitze, wie hineingebohrte Reflexe – einmal, zweimal, im Rhythmus seines plötzlich heftiger schlagenden Herzens.
    Eg?
    Gewiss erscheint es so. Die vertraute massige Gestalt mit dem fassförmigen Brustkorb steht dort, die eisernen Talismane in das graue, wirre Haar verwoben. Das faltige und wettergegerbte Gesicht, darauf ein breites Grinsen. Die Stablanze, die ihm wie ein großer und hagerer Freund über die Schulter späht. Von irgendwoher hat dieser Egar sich einen Zahn mit Stahlkappe und eine Narbe über dem Kinn geholt, an die Ringil sich nicht erinnern kann, aber alles übrige ist der Drachentöter wie er leibt und lebt, der dort auf dem Pfad in Ringils Rücken steht, scheinbar so fest wie die Steine, die zwischen ihnen beiden flackern, erscheinen und wieder verschwinden.
    Egar?
    Die Gestalt schnaubt. Kennst du jemand anders, der auftaucht, sobald du bis zum Hals in der Scheiße steckst, und dich wieder rauszieht?
    Eine schwache Geste, welche die Umgebung erfasst. Ich stecke nicht …
    Nein? Egar kommt heran und ergreift ihn bei den Schultern. Die Finger graben sich mit der Kraft des Steppennomaden tief und schmerzhaft in seine Schultern. Na ja, du siehst beschissen aus Gil, da kannst du Gift drauf nehmen. Möchtest du die Wahrheit hören? Du siehst aus wie ein Pony nach einem zehntägigen Galopp ohne richtiges Futter. Wer dich auch immer reitet, er muss dir mal eine Ruhepause gönnen.

    Rasche Gedanken an Dakovash, ebenso rasch wieder beiseite geschoben. Verschwunden, ehrlich – sieh mal.
    Niemand reitet mich, verdammt!, sagt er schleppend.
    Das wäre dann das erste Mal. Der Drachentöter zieht ihn dicht an sich, zerquetscht ihn beinahe in einer bärenhaften Umarmung, die der Egar, den er in der Welt gekannt hat, sich niemals erlaubt hätte. Ringil hustet übertrieben, und Egar lässt ihn los. Hält ihn auf eine eher gewohnte Armeslänge vor sich und grinst. Tut gut, dich wiederzusehen, Gil.
    Ja, geht mir auch so. Und wie bei Shend, wie bei Ishil, so weiß er auch jetzt, dass er sich nicht darauf einlassen sollte, aber er kann nicht anders. Er hat diese Losgelöstheit satt, hat es satt, abseits zu stehen. Was soll’s also, wenn seine Freunde jetzt Phantome sind. Was tust du hier, Mann?
    Der Drachentöter zuckt die Achseln. Bin einfach hergekommen, um mit dir eine Weile spazieren zu gehen.
    Es ist flüchtig, aber einen Augenblick lang sieht Ringil ihn die Stirn runzeln, sieht diese Version seines alten Freundes nach den Erinnerungen suchen, die ihm die grauen Orte nicht zugestehen wollen. Wie bin ich hierher gekommen, wo bin ich, was war vorher? Ringil verflucht seine eigene mangelnde Zurückhaltung und sucht nach einer raschen Ablenkung

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