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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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mahlte und schnitt weiter mit den Zähnen, arbeitete daran, dem Mann ein fransiges Loch in den Hals zu reißen. Haut, Sehnen, kleine Bröckchen zerfetztes Fleisch und da, da, die winzige, feucht pulsierende Röhre der Arterie. Er spuckte aus, ließ los. Der Antreiber stolperte zurück, die weit aufgerissenen Augen in dem schwachen Licht auf Gerin gerichtet, den Mund flehendlich geöffnet. Er schlug eine Hand auf die Wunde an seinem Hals, fühlte, was dort geschehen war, spürte den raschen Pulsschlag, mit dem ihm sein Leben durch die Finger rann. Stieß eine Art Stöhnen aus und stürzte brabbelnd zu Boden.

    »Nehmt ihm seinen verdammten Bolzenschneider ab! Schnell!«, stieß der Veteran von Rajal durch die zusammengebissenen Zähne hervor, während er mit der Kette an der Kehle des jüngeren Antreibers sägte. Er hatte die Fäuste gehoben und die Kette doppelt gepackt, um den schlimmsten Zug an seinen Fesseln abzuschwächen – dennoch blutete er an den Handgelenken. Der Antreiber schlug und trat um sich, die Stiefel suchten verzweifelt nach Halt. Aber die matten Metallglieder waren tief ins Fleisch an seiner Kehle gedrungen, und die Augen traten ihm unmenschlich weit aus den Höhlen, und er würgte, erfüllt vom verzweifelten Wissen um den eigenen Tod. Gerin schoss heran, riss ihm den Bolzenschneider vom Gürtel. Er hatte mit dem unvertrauten Werkzeug zu kämpfen, als er versuchte, seine Fußfessel zu greifen.
    »Ihr Schweinehunde!« Ein schwerer Schlag auf seine Schulter. »Leg dich hin, du verdammtes Stück Sch…«
    Gerin geriet ins Stolpern, ging jedoch nicht zu Boden. Der dritte, gerade eingetroffene Antreiber zog ihm erneut knurrend den Knüppel über, von der Seite. Diesmal stürzte Gerin in den Dreck. Eine einzige Sekunde stand der Antreiber schwer atmend mit gehobenem Knüppel über ihm – und wurde von den anderen Männern des Trecks herabgezogen, bevor er zuschlagen konnte. Ein schreckliches Geheul ertönte von dort, wo er zu Boden gegangen war. Gestalten in Ketten häuften sich über ihm.
    »Schneid mich los, mein Sohn. Rasch!«
    Es war der hagere Mann, der ihm die Arme entgegenstreckte. Gerin zögerte einen Augenblick, dann schloss er den Bolzenschneider um die Fesseln des Mannes. Er drückte und drehte, und die Unterarme schmerzten vor Anstrengung. Einen übelkeiterregenden Augenblick glaubte er, der Bolzenschneider würde nicht funktionieren. Dann verbog die Fessel und riss.

    »Geschafft, geschafft!« Der hagere Mann sang fast. »Eisen, nach Gildenstandard, meine Fresse. Sieh dir mal den Scheiß an! Verdammt schludrige Schmiede da in Etterkal!«
    Die zweite Fessel ging fast ebenso leicht durch, und dann schnappte sich der Hagere den Bolzenschneider aus Gerins schweißnassem Griff. Er hob ihn wie eine Waffe. Gerin spürte, wie er einen trockenen Mund bekam.
    »Komm schon!«, fauchte der Mann. »Streck sie aus!«
    Er sprach wie sein Vater – benommen gehorchte Gerin. Der hagere Mann setzte den Bolzenschneider an, drückte ihn kraftvoll zusammen und trennte die Fesseln nacheinander auf. Fast ebenso schnell war er bei Gerins Füßen, dann seinen eigenen. Er riss die zerschnittenen Ketten herunter, richtete sich auf und lachte – ein jäher, grimmiger Freudenausbruch, dem etwas Animalisches anhaftete. Er schlug Gerin auf die Schulter, und Gerin ging unter der Gewalt des Schlags fast wieder zu Boden.
    »Verdammt erstaunlich, mein Sohn. So was hab ich noch nie gesehen.«
    Anderswo hatten weitere Männer die Bolzenschneider der beiden anderen Antreiber an sich gebracht und bemühten sich jetzt schimpfend und streitend, sich oder andere irgendwie im Dunkeln zu befreien. Der narbengesichtige Veteran aus Rajal erhob sich wie etwas Heraufbeschworenes vom Leichnam des Mannes, den er getötet hatte. Er zerrte seine Ketten von dem roten, rohen Loch der aufgerissenen Kehle des Antreibers weg und bot sie dar. Bei diesem Anblick lief Gerin ein Schauer über den Rücken. Der Veteran schüttelte ungeduldig die Kette.
    »Wollt ihr die ganze Nacht da rumstehen und euch gegenseitig beglückwünschen?«, knurrte er und nickte hinüber zu der Sklavenkarawane, wo nun allgemeiner Aufruhr herrschte. »Uns
bleiben nur ein paar Minuten, bevor jemand mit einem Schwert hier erscheint. Macht schon!«
    Gerin folgte der Geste mit dem Blick und erkannte die Wahrheit in den Worten. Dunkle Gestalten huschten zwischen den in Unordnung geratenen Trecks hin und her und suchten nach der Quelle des Aufruhrs. Die meisten hielten

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