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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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lautlose metallische Prozess hatte stattgefunden, solange Archeth zurückdenken konnte, und das waren inzwischen einige Jahrhunderte; und trotz der Vielzahl an idiotischen Prophezeiungen, dass es aufhörte, wenn die Kiriath die Welt verließen – auch nachdem das letzte Feuerschiff ihres Volks tatsächlich im Krater von An-Monal untergetaucht war und etwas in Archeths Herzen zu zerreißen schien, setzte der Baum niemals aus.
    Eigentlich überraschte sie das nicht besonders. Sie hätte den weissagenden Priestern sagen können, dass ihre Prophezeiungen von vornherein Blödsinn gewesen waren. Das Volk ihres Vaters war stolz darauf, Prozesse und Kunstwerke zu erschaffen, die nicht gewartet werden mussten.
    Wir sind, was wir bauen, hatte Grashgal ihr einmal kryptisch gesagt, in den kurzen Monaten zwischen dem Ende des Kriegs und der Abreise. Kräfte, älter und dunkler als das Wissen, haben uns das Wissen aufgezwungen und uns das Paradies versperrt. Es gibt keinen Weg zurück. Der einzige Sieg gegen jene Kräfte besteht darin zu bauen. Gut genug zu bauen, dass der Anblick erträglich ist, wenn wir den Pfad unseres Exils zurückschauen, den wir geschaffen haben.
    Wenn es keinen Weg zurück gibt, bettelte sie ihn an, warum geht ihr dann?
    Aber dieses Argument war inzwischen schal geworden. Grashgal konnte den Rat der Kapitäne ebenso wenig umstimmen wie sie selbst. Die Nachwirkungen des Krieges hatten etwas in den Kiriath zerbrochen, hatten sie auf eine Weise in Angst
und Schrecken versetzt, die ihr nach wie vor rätselhaft war. Sie wollten weg. Nach Tausenden von Jahren der sesshaften Untätigkeit schmiedeten sie wiederum Pläne, zeichneten Karten und fragten ihre Maschinen um einen Rat, den ihre eigenen erheblich beschädigten Gehirne ihnen nicht mehr erteilen konnten. Unten in den Werkstätten in An-Monal wüteten die Schweißgeräte wiederum blau-weiß, und Funken stoben in zinnoberroten und goldenen Kaskaden die geschwungenen eisernen Flanken der Feuerschiffe im Trockendock entlang. Die Steuermänner in ihrer brütenden, eingemotteten Dunkelheit regten sich, sannen über die Fragen nach, die ihnen gestellt worden waren, und sagten, es könne getan werden.
    Unwillkürlich warf sie einen Blick nach links über den Innenhof zu dem Bogengang und den gewundenen Wegen hinüber, die hinab in die Werkstätten führten. Geisterhafte Erinnerungen an das Getöse schwanden bei der Rückkehr in die Gegenwart: der scharfe saure Geschmack des Apfels auf der Zunge und die Wärme der Sonne auf der Haut. Sie war an diesem Morgen unten in den Werkstätten gewesen, war über die verlassenen eisernen Gerüste und Plattformen für die Kräne gewandert, hatte sich dort angelehnt und die wenigen Feuerschiffe angestarrt, die in dem spinnwebhaften Dämmer zurückgeblieben waren, bis die vertrauten Tränen, die sie sich jetzt seit Monaten verbissen hatte, hervorgequollen und ihr brennend das Gesicht herabgelaufen waren wie eine ätzende kiriathische Chemikalie, mit der sie achtlos umgegangen war.
    Und sie war innerlich leer zurückgeblieben, ohne sich sauberer gefühlt zu haben.
    Es ist das Krinzanz, Archidi. Sie hatte ganz bewusst keines eingepackt, als sie diesmal die Stadt verlassen hatte. Zwei Tage weg, drei im schlimmsten Fall – wie schlimm konnte es werden? Jetzt
hatte sie ihre Antwort. Wenn du in deinem wilden Optimismus mit dem kalten Entzug so weitermachst …
    Sie räusperte sich. Biss ein weiteres Mal in den Apfel und beschattete sich die Augen gegen die sinkende Sonne. Der Baum war nicht hoch, kaum mehr als Kopfhöhe für einen Menschen, und verzweigte sich in einem komplizierten, verworrenen Muster nach oben und außen – ein Muster, das, wie Archeth wusste, seinen Grund nicht in der Beobachtungsgabe und dem Geschick eines Bildhauers hatte, sondern in gewissen mathematischen Überlegungen, die das Volk ihres Vaters in die Herzen ihrer Maschinen eingepflanzt hatte wie ein Lied. Sie erinnerte sich daran, als Kind an diesen Ästen geschaukelt zu haben. In einem Frühjahr hatte sie die hervortretenden Blattklingen gepflückt und war bei der Entdeckung erschrocken, dass sie heiß brannten, wenn man sie berührte.
    Damals war sie jammernd zu ihrer Mutter gelaufen, hatte sich die verbrannten Finger einsalben und verbinden lassen, und auf ihre Fragen hatte sie die übliche menschliche Erklärung für diese Dinge erhalten.
    Es ist Magie, hatte ihre Mutter ruhig gesagt. Der Baum ist magisch.
    Ihr Vater hatte bis weit in ihre

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