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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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Jugendjahre gewartet, ehe er sie eines Besseren belehrt hatte. Vielleicht, weil er die Gefühle seiner Frau nicht verletzen wollte, vielleicht bloß, weil es ihm leichter fiel, Archeth – die robust und rauflustig aufwuchs – unter seiner Knute zu halten, solange sie ihn wirklich für einen Totenbeschwörer hielt, der von seiner Reise durch die Adern der Erde schwarz geworden war. Um die Wahrheit zu sagen, hatte Archeth nicht allzu lange gebraucht, das zu durchschauen  – wenn, zum Beispiel, Flaradnams Reise durch die gewundenen Orte ihn wirklich schwarz gebrannt hatte, wie erklärte sich
dann ihre ebenholzschwarze Haut, wo sie doch niemals näher als hundert Fuß an einen Lavafluss oder Kraterrand in An-Monal herangehen durfte? Es war unlogisch, und Logik war etwas, woran sie seit frühester Jugend hing.
    Ebenfalls als Kind hatte Archeth erkannt, dass etwas unter der Oberfläche in der Beziehung ihrer Eltern vor sich ging, das sie an das stetige Brodeln und Blubbern des Magmas im Auge von An-Monal erinnerte. Die gelegentlichen Eruptionen jagten ihr Angst ein, und sie wusste, dass Magie eines der Themen war, die unausweichlich die Spannung zur Entladung bringen würden.
    Ich hab’s dir erklärt, hörte sie ihn eines Abends schreien, als sie im Bett hätte liegen sollen, jedoch herausgekrochen war, um im Schein der Leuchtkugel im Treppenhaus zu lesen. Keine Magie, keine Wunder, keine Engel oder Dämonen, die auf der Lauer liegen und auf unvorsichtige menschliche Sünder warten. Du wirst ihr den Kopf nicht mit diesem närrischen Unrat vollstopfen. Du wirst sie nicht auf diese Weise fesseln.
    Aber die Hüter sagen …
    Die Hüter sagen, die Hüter sagen! Das Klirren, als etwas Kristallenes gegen die Wand flog. Die Hüter lügen, Nantara, sie lügen euch alle an! Sieh dich doch mal in dieser beschissenen Folterkammer um, unserer Welt! Sieht die wie etwas aus, das von einem wohlwollenden Herrn aller Geschöpfe regiert wird? Sieht sie so aus, als wäre da jemand, der über euch alle wacht?
    Die Offenbarung lehrt uns, so zu leben, dass die Welt ein besserer Ort wird.
    Ja? Erzähl das mal dem neunten Stamm!
    Oh. Willst du mir dafür jetzt auch noch die Schuld in die Schuhe schieben? Das nicht unbeträchtliche Temperament ihrer Mutter entflammte mit der Dauer der Auseinandersetzung. Du, der Sabal dem Eroberer dabei geholfen hat, über sie herzufallen, der den
Feldzug geplant hat und an der Spitze unserer Armeen mit ihnen geritten ist, um die Ausführung zu überwachen? Der heimkehrte, von Kopf bis Fuß bespritzt mit dem Blut kleiner Kinder?
    Ich habe keine verdammten Kinder getötet! Wir wollten nicht …
    Du hast es gewusst. Jetzt barg ihre Stimme das schwarze, ätzende, freudlose Gelächter – Archeth, acht oder neun Jahre alt und an mehr oder weniger heftiges Schimpfen gewöhnt, kannte das kleine, erschreckende Lächeln, das die Lippen ihrer Mutter umspielen würde, das Zeichen der entfachten Wut. Oh, du hast es gewusst. Du sprichst von Lügen, du hast gewusst, was er tun würde. Du träumst noch immer davon.
    Du bist nicht dort gewesen, Nantara. Uns blieb keine Wahl. Du kannst kein Reich aufbauen ohne …
    Ermordete Kinder …
    Die Zivilisation wächst nicht einfach, Nantara. Du musst …
    Du belehrst mich über Unwissenheit und Lüge. Sieh dir doch mal selbst ehrlich ins Gesicht, verdammt, ’Nam, und sage mir, wer hier lügt!
    Und so weiter.
    Also lernte Archeth schon früh, sich ungeachtet der hartnäckigen öffentlichen Meinung vom Thema Magie fernzuhalten; es einfach an sich abgleiten zu lassen, und diese Gewohnheit konnte sie später nur schwer ablegen. Als sie von Flaradnam und Grashgal ihre – charakteristisch lückenhafte und fahrige – Ausbildung in kiriathischen Dingen erhielt, hatten diese ersten fünfzehn Jahre deutlich ihre Spuren bei ihr hinterlassen. Magie kam ihr nach wie vor ziemlich wie Magie vor, selbst wenn es offensichtlich keine war. Und etwas war tief in ihr vergraben, vielleicht etwas Menschliches, geerbt von der mütterlichen Seite, das die Magie einfach akzeptieren und es dabei belassen wollte, statt sämtliche unangenehmen Details des Verstehensprozesses
zu durchlaufen. Viele Jahrzehnte lang, lange, nachdem ihre Mutter ihre menschliche Lebensspanne durchlaufen hatte und gestorben war, spürte Archeth manchmal nach wie vor, wie sie die kiriathische Technologie mit den Augen Nantaras betrachtete. In fast zwei Jahrhunderten war es ihr nie völlig gelungen, das unheimliche

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