Das kalte Schwert
Dwendas hatten zumindest den Anstand, menschlich zu erscheinen.
»Na ja, du wirst trotzdem mit ihm reden müssen.« Archeth, pragmatisch wie immer, wenn es um etwas anderes als das eigene Leben ging. »Er ist das Herz der Expedition, er ist der Grund, weshalb wir überhaupt losfahren.«
»Ja, das gibt einem zu denken, nicht wahr?«
»Was?« Seite an Seite ritten sie von Shantas Werften zurück durch das mittägliche Gewimmel auf den Straßen und die Hitze der Stadt. Aber selbst vor dem Hintergrund des Lärms und dem Klappern der Pferdehufe auf dem Pflaster hörte er die gereizte Anspannung in ihrer Stimme aufsteigen. »Was soll einem das zu denken geben?«
Er seufzte. Dieses Gespräch war schon längst überfällig. Er hatte es seit Tagen hinausgeschoben.
Ich könnte es jetzt hinter mich bringen.
»Archeth, nun komm schon! Eine Stadt im Meer, ein Klan, der über die Jahrhunderte hinweg Wache steht? So lebt kein Volk, und das weißt du. Nicht einmal das deine. Anasharal spinnt am
knisternden Feuer ein Garn für Kinder. Du glaubst nicht mehr daran als ich. Darum geht es bei dem Ganzen gar nicht.«
»Weißt du …« In ihrer Stimme lag eine bemühte Ruhe, ein Warnzeichen für eine schwelende, unterdrückte Wut, das er gut kannte. »Ich werde allmählich verdammt sauer, wenn Männer glauben, mir erklären zu müssen, worin meine echte Motivation besteht. Wenn du dir so sicher bist, dass wir Zeit vergeuden, warum hast du dann …«
»Das habe ich nicht gesagt.« Er drehte sich leicht im Sattel, sodass er sie besser ansehen konnte. »Ich habe nicht gesagt, wir würden unsere Zeit vergeuden. Sieh mal, vielleicht existiert An-Kirilnar ja. Und vielleicht, nur vielleicht, ist es nicht wie An-Naranash geplündert worden. Die Hironier sind schon zäh, dass sie dort aufs Meer hinausfahren. Und ja, es sind wahrhaft schlimme Gewässer, also haben sie diesen Ort vielleicht übersehen. Darauf setzen deine Kaufmannskumpel gewiss ihre Hoffnungen. Und natürlich schlage ich Köpfe ein und halte die Ordnung für dich aufrecht, und ich fahre mit, wenn du losfährst. Dann habe ich was zu tun, dann bin ich beschäftigt. Aber erzähle mir doch bitte nicht, dass du wirklich der Überzeugung bist, wir würden eine geschäftige kleine Kolonie kiriathischer Wächter da oben finden, die einen nassen Granitbrocken mit einem Grabmal obendrauf im Auge behalten, fröhlich ihre Mission in den vergangenen viertausend Jahre vom Vater auf den Sohn weitergereicht haben und so tun, als würde der Rest der Welt nicht existieren. Ich meine, ist das wahrscheinlich?«
»Es ist nicht unmöglich.«
Wiederum seufzte er. »Nein, es ist nicht unmöglich. Sehr wenig in dieser Welt scheint unmöglich. Aber glaubst du wirklich, das zu finden?«
»Und, was folgt daraus? Du meinst, Anasharal hat das bloß
erfunden?« Sie wich allzu offensichtlich aus, und die kratzigen Anzeichen des Krinzanzentzugs lagen in der brüchigen Stimme. »Zu welchem verdammten Zweck, Gil? Beantworte mir das! Eine Kabale von reichen Sonderlingen anzetteln, Schiffe bauen und ausrüsten, Männer anheuern und ausbilden lassen, alles für eine Expedition an einen Ort, der nicht existiert – warum sollte ein Steuermann das wollen?«
Er zuckte die Achseln. »Ich glaube, das haben wir schon durchgekaut. Du versuchst, die Motive von etwas völlig Unmenschlichem zu ergründen. Warum sollten seine Motive uns irgendwie sinnvoll erscheinen?«
Wortlos ritten sie weiter, ein Dutzend oder mehr trappelnde Pferdeschritte.
»Na schön.« Und Archeth wiederholte mit offensichtlicher, mürrischer Befriedigung: »Du wirst trotzdem mit ihm reden müssen.«
Er war sich nie recht im Klaren, weshalb er bewaffnet vor ihn trat.
Für Adelige bestand in der Liga eine gewisse formelle Kleidervorschrift. Der Krieg war schließlich ihr Gewerbe, und es erschien angemessen, dass sie diese Tatsache in der Öffentlichkeit repräsentierten. Vor der Ankunft des schuppigen Volks war diese Tradition etwas in Vergessenheit geraten. Die Adeligen, die bessere Manieren zeigen wollten, trugen zierliche Degen und sorgten sich eher um eine auffällige Scheide und den Handschutz als um den schlichten Stahl darin. Aber mit dem Krieg und dem nachfolgenden Aufstand traten schwere Klingen wieder in Erscheinung, und Ringil hatte im vergangenen Jahr bei seiner Rückkehr nach Trelayne entdeckt, dass er unerwartet auf der Höhe der Mode war.
Aber daran lag es nicht.
Sondern vielleicht einfach an der Tatsache, dass der
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