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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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Vor den Drachen.«
    »Ja, waren wir.« Der Blick blieb unerschütterlich.
    Ein paar wenige Momente saßen sie schweigend da. Egar lag
es auf der Zunge zu sagen, dass er das Gemetzel bei Oronak gesehen hatte, dass er sich an den Albtraum erinnerte, als sie in die Stadt eingeritten waren. Er war Teil eines Ersatzheers gewesen, das zu spät eingetroffen war und im Wesentlichen bloß noch durch die Straßen der winzigen Hafenstadt marschieren und die Toten zählen konnte. Wiederholte Kavallerieangriffe durch die Hauptstraßen von Oronak hatten das schuppige Volk zurückgetrieben, aber unter gewaltigen Verlusten. Kaum jeder fünfte Mann war noch am Leben und konnte beim Eintreffen der Verstärkung Bericht erstatten, und die Ergebnisse dieser Schlacht ähnelten den irrwitzigen Bildern der Offenbarung von der Hölle; Rauchwolken aus Gebäuden und Schiffen, in Brand gesteckt vom ausgehusteten Gift der Kommandantenkaste der Reptilien, die Leichen von Männern und Pferden, verbrannt oder entzweigebissen, die versengten und kreischenden Verwundeten, welche die Hände nach ihnen ausstreckten …
    Besser, du sagst nichts, Drachentöter. Man soll sich hier nicht an dich erinnern. Besser du machst den Abflug.
    Egar nickte über die Gasse hinweg dem Mann zu.
    »Würdest du diesen Mantel verkaufen?«
     
    Er kostete ihn mehr als das Schweigen der Hure, aber das hatte er auch erwartet. Sichtbare Militärabzeichen waren mächtige Instrumente im Bettlerspiel. Sie zogen das Auge an Straßenecken auf sich, zwangen jenen Scham und Erinnerung auf, die sonst einfach vorbeigegangen und die Geldbörse sicher verwahrt gehalten hätten. Sie waren eine große Hilfe dabei, den ständigen Überfällen und Übergriffen der Straßenbanden oder Banden junger Adliger, die ihren Spaß haben wollten, zu entgehen. Entsprechend florierte der Handel mit Soldatenmänteln und – jacken. Sie wurden gestohlen und wegen der damit verbundenen
Einkünfte und Sicherheit sogar aus Gräbern in den Außenbezirken der Stadt ausgegraben.
    In Egars Fall lag der Sache ein simpleres Kalkül zu Grunde. Seit dem Ende des Kriegs bettelten mehrere tausend Veteranen auf den Straßen Yhelteths und schliefen auch dort, ganz zu schweigen von jenen anderen, wahrscheinlich auch in die Tausende gehenden, die sich nur als Veteranen ausgaben. Man sah heruntergekommene Männer in zerrissener Militärkleidung so ziemlich überall dort, wo den Anwohnern entweder die bezahlte Wache oder der vereinte herzlose Wille fehlte, sie zu vertreiben. Sie waren Teil des lärmenden, brodelnden Hintergrunds des Stadtlebens, keine größere Aufmerksamkeit wert als der nächstbeste vorüberhuschende Straßenjunge oder die Hure an der Ecke. Einfach ein weiteres unausweichliches Zeichen der Zeit.
    In den Steppen kursierten Geschichten von Wolfspelzen, die Schamanen besprochen hatten und in deren verzauberten Falten der Träger sich allein durch Willenskraft den Blicken der Menschen entziehen konnte. Eingehüllt in den Mantel des Kavalleristen konnte der Drachentöter überall in Yhelteth den Kopf einziehen und so ziemlich den gleichen Trick ausführen.
    Aber gerade jetzt nicht.
    Er verließ die Gasse mit der Kleidung unter dem Arm. Die Sonne stand nach wie vor noch nicht hoch am Himmel, aber man spürte bereits die kommende Hitze. Während er im Bordell gewesen war, hatten sich die Straßen allmählich gefüllt. Menschenmengen wogten hin und her, Pferde- und Mulihufe klapperten. Skelette von Marktbuden, beim Weg den Hügel hinauf noch ohne Planen, waren jetzt mit buntem Tuch behängt, mit kunstvoll arrangierten Produkten beladen und belagert von Käufern, die ihrerseits wiederum von einem schmalen Kreis vorausschauender Diebe umringt waren.

    Er suchte sich seinen Weg durch das Gewirr der Straßen und Gassen hinab zum Fluss. Am liebsten wäre ihm gewesen, er hätte herausfinden können, was in den Stunden nach seinem Abgang um Imranas Herrenhaus vor sich ging, aber dafür blieb jetzt keine Zeit. Er brauchte einen Arzt, den er bestechen oder dem er so viel Angst einjagen konnte, dass er den Mund hielte, um seine Verletzungen zu waschen und zu verbinden. Er brauchte Waffen, etwas Handfesteres als die Messer, die er bei sich trug. Er musste eine Bestandsaufnahme machen und vielleicht, nur vielleicht, einige Stunden schlafen.
    Nichts davon ließe sich hier gefahrlos erledigen.
    Und alles muss vor Einbruch der Nacht erledigt sein.
    Das schwache Geflüster seiner tiefer liegenden Ängste – denn er traute

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