Das kalte Schwert
oder wie immer sie heutzutage genannt wurde, lag unmittelbar vor ihm. Er trieb das Pferd zum Trab an.
Draußen vor der Kneipe wischte ein kleiner Junge die Tische ab und gab hin und wieder einem ergrauten alten Mann Antwort, der an einem bereits gesäuberten Tisch saß. Vor dem einsamen Gast stand ein unberührtes Pint Bier, und neben ihm baumelte ein Pferdegeschirr. Beim Geräusch der Hufschläge von Ringils Pferd blickte er auf; er wartete anscheinend auf jemanden. Ringil stieg ab und band sein Pferd an einem geeigneten Tischbein fest. Der alte Mann beobachtete ihn ruhig, als er nähertrat, und einen Augenblick lang glaubte Gil, dieses Gesicht von irgendwoher zu kennen.
Er tat das Gefühl mit einem Achselzucken ab. »Hier hat gestern Abend der Kampf stattgefunden?«
»Da drüben.« Der alte Mann nickte zum Flussufer hinüber. Auf dem dünnen Gras waren dunkle Flecken und kahle Stellen zu sehen, wo die Erde durchschimmerte. Offenbar hatte jemand eine Fackel oder eine Lampe umgestoßen und auf dem Boden abbrennen lassen.
»Habt Ihr ihn mitbekommen?«, fragte ihn Ringil.
»Nein, ich war nicht hier.« Der alte Mann hob sein Pint und trank. Anscheinend amüsierte er sich über etwas, das nur er verstand.
»Ist hier wer, der dabei war?«
»Versucht es mal drinnen. Einige behaupten, Zeugen gewesen zu sein.« Der alte Mann zuckte die Achseln. »Aber wer weiß das schon so genau? Um die Wahrheit sind bereits Geschichten gesponnen.«
Ringil knurrte.
»Einige sind gar nicht gegangen, Mylord«, warf der Junge ein, der einen Augenblick lang mit Wischen innehielt. »Sie sind die ganze Nacht geblieben und reden immer noch davon.«
Jemand hatte ihm vor einiger Zeit ein blaues Auge geschlagen.
Es waren noch verblassende blaue und gelbe Flecken sowie eine verschorfte und geschwollene Unterlippe zurückgeblieben. Aber jugendliche Begeisterung leuchtete durch die Verletzungen wie der Sonnenaufgang durch die Wolken des Sumpfwetters.
»Man sagt, der Drachentöter hat sich in berserkerhafter Wut aus seinen Fesseln losgerissen, Herr. Man sagt, er hat ein Schwert aus der Luft herbeigezaubert und dann Feuergeister angerufen, die seine Angreifer versengen sollten.«
»Verstehe«, sagte Ringil ernsthaft.
»Vielleicht hat ihm sein Sieg über den Drachen Kräfte verliehen, Herr.«
Gil nickte und übersah den wissenden Blick, den der alte Mann ihm zuwarf. »Das ist durchaus möglich. Ich habe früher schon ähnliche Geschichten gehört.«
»Mein Vater ist beim Kampf gegen die Drachen gestorben«, sagte der Junge hoffnungsvoll.
Ringil unterdrückte eine Grimasse. Sprach die schalen Worte: »Dann war dein Vater ein … großer … Held. Und ich bin mir sicher … ich bin mir sicher, sein Geist wacht über dich von, äh, von einem hohen Ort der Ehre und des Friedens.«
»Und über meine Mutter, Herr.«
»Ja. Und über deine Mutter.«
Der alte Mann beobachtete ihn immer noch scharf. Als sich Ringil abwandte und hineingehen wollte, rief er: »Ihr tragt eine kiriathische Klinge, Herr.«
Ringil blieb stehen, drehte sich jedoch nicht um. »Experte für Schwerter, ja?«
»Nein, Herr. Bloß ein bescheidener Barbier. Aber ich arbeite sozusagen selbst mit Klingen, und ich verstehe etwas von ihren Stärken und Schwächen. Ich verstehe was von Stahl. Und das ist kiriathischer Stahl auf Eurem Rücken.«
»Und wenn’s so ist?«
»Na ja, dann seid Ihr vielleicht auch so was wie ein Held?«
Gil wandte sich immer noch nicht um, schloss jedoch für einen Moment lang die Augen. Aber was er dort auf der Innenseite seiner Lider fand, half ihm auch nicht weiter.
So was wie ein Held.
Er öffnete die Augen wieder und ertappte sich dabei, dass er sich unwillig zu seinem Beschuldiger umdrehte.
»Der Schein trügt oft, alter Mann«, sagte er knapp. »Ihr beurteilt einen Mann besser nicht anhand des Stahls auf dem Rücken.«
»Ein liebenswürdiger Ratschlag.« Der alte Mann senkte den Kopf. Nach wie vor diese Vertrautheit an ihm, die Ringil wahnsinnig machte. »Ich stehe in Eurer Schuld. Solltet Ihr je den Wunsch nach einer Rasur verspüren, so stehe ich Euch zu Diensten. Beste Rasur in der Stadt. Ich habe mein Geschäft im Palastviertel. Fragt nach dem Alten Ran.«
»Ich werd’s im Hinterkopf behalten.« Ringil sah, wie ihn der Junge beobachtete, erneut diesen verzückten Blick in den Augen. »Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen wollt.«
Und er entfloh dem Blick des Jungen in das kühle Dämmerlicht der Kneipe und das harte Gezänk
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