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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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Abbild in einem Zerrspiegel auf dem Rummelplatz an dich erinnert. Und noch merkwürdiger – in der Hitze des Kampfs, im Getümmel der Männer, die töteten und starben für nicht recht fassbare Gründe, ist der Übergang durch jene Spiegelfläche manchmal möglich. Lass ihn zu, tritt irgendwie hindurch, und ihr Hass auf dich könnte sich ebenso wandeln und zu einer reinen, verzehrenden Liebe werden, und es könnte sein, dass sie dir deswegen folgen und ihr Leben für dich lassen.

    Es war, gab er bereitwillig zu, unheimlich und jenseits aller Vorstellung, aber er hatte es so erlebt, mehr als einmal, in dem wütenden Chaos des Krieges, wie quecksilberhafte Magie, wie so viel anderes, was ihm in jenen Jahren widerfahren war. Verzerrt und wundervoll und merkwürdig.
    Aber das war der Krieg, und das war damals.
    Hier und jetzt, in dem Buschland an der Grenze, draußen vor Hinerion, mit einer zerlumpten Bande der billigsten Söldnerschurken, die ihm seine geleerte Börse beschaffen konnte, gäbe es keine Übergänge. Es gäbe kein Wunder.
    Er war hinter dem Spiegel gefangen, und er wusste es.
    Also sah er der Befreiung der Sklaven zu und versuchte, das Gefühl zu unterdrücken, das seine Männer offensichtlich bereits hatten, dass nämlich alles eine gewaltige Zeitverschwendung war.
    Versuchte, überhaupt nichts zu fühlen.
    Die Sklaven selbst hatten anscheinend größtenteils einen ähnlichen Zustand der Benommenheit erreicht. Ein paar standen mühsam auf, sobald die Ketten gelöst waren, schnappten sich das Brot, das ihnen zugeworfen worden war, und rannten zu zweit oder allein zum Saum des Waldes davon, wobei sie unterwegs über die Schulter schauten; andere, zumeist die Frauen, packten die Hände ihrer Befreier und versuchten, sie zu küssen, oder sie weinten. Ihre Bemühungen wurden mit überraschten Flüchen quittiert, und sie wurden abgeschüttelt. Aber diese waren in der Minderheit. Die meisten nahmen einfach das Brot und kauten daran, wo sie saßen, und starrten dabei in irgendeine hohle Ferne, die sie während ihrer Gefangenschaft für sich ausgegraben hatten. Vielleicht glaubten sie nicht an das, was da gerade geschah; vielleicht hielten sie es für einen Trick. Oder es war ihnen alles völlig gleichgültig. Wenn sie begriffen,
dass sie frei waren, schien es ihnen jedenfalls nicht sehr viel wert zu sein.
    Ringil – der viel von der Freiheit gesehen hatte, welche diese Welt zu bieten hatte, und sich dabei ertappte, dass er immer noch innerlich leer hier stand, mit dem Blut einer vergewaltigten Frau an den Händen – musste sich fragen, wie sehr sie sich wirklich geirrt hatten.
    Die Sonne stieg höher und verjagte die letzte nächtliche Kühle. Mit dieser Veränderung schienen die Ereignisse der Dämmerung zurückzuweichen, als ob die abgeschlachteten Leichname der Xanthippe und des Gesandten und ihrer Männer Trümmer wären, die irgendeine Schlacht in einer geisterhaften Sphäre parallel zur wirklichen Welt zurückgelassen hatte. Bei diesem Gedanken, bei den damit verbundenen Erinnerungen, schüttelte Ringil einen Schauder ab und versuchte, etwas von der Wärme der neuen Sonne einzusaugen. In seinen Ohren tönte ein leises, nur für ihn vernehmbares Trommeln, mehr gefühlt als gehört, und sein Blickfeld erschien abrupt dunkler. Ein weiterer Schauder. Er fragte sich düster, ob ihn vielleicht eine Erkältung erwischt hatte.
    Rasche Schritte, knirschend über den Boden hinter ihm.
    Ringil fuhr herum, seine Hand griff nach dem Knauf des Rabenfreunds. Er sah Eril von der Kuppe des Hügels zu ihm herabsprinten, eine Hand ausgestreckt, nach Westen zeigend.
    »Reiter im Westen!«
    Abgerissenes Bewusstsein, wie das schreckliche Erwachen aus dem Traum einer Flandrijnpfeife. Das ferne Trommeln löste sich aus seinem Kopf und durchdrang die morgendliche Stille, wurde zu dem, was es war; ein Geräusch, das er von einem halben Hundert Schlachtfelder der Vergangenheit kannte – das Beben einer gepanzerten Kavallerieabteilung im Galopp.

    Eril brüllte jetzt.
    »Achtung, Reiter!«
    Rings um Ringil hörten es die Söldner gleichfalls und nahmen den Schrei auf …
    »Achtung, Reiter!«
    »Reiter!«
    »Verdammte schwere Kavallerie!«
    Gebrüllte Warnungen, aneinandergekettet wie Blitze vor dem Sturm, und dann, auf einmal, das chaotische Hin und Her rennender Männer, die herumsprangen und sich tretend ihren Weg durch die zusammengedrängten Sklaven bahnten und zum Saum des Waldes hinüberrannten. Vielleicht zu ihren

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