Das kalte Schwert
rings um ihn her immer wieder sporadisch unscharf wurde. Eine Weile lang sah er den gut genährten Speisenden zu und versuchte, einen Funken Abscheu vor ihnen heraufzubeschwören, doch er war nicht mit dem Herzen bei der Sache. Er wollte sich bloß hinlegen und schlafen.
Ja, schon gut. Dann den Arsch in den Sattel, Gil!
Er stieß sich von der Bar ab – was schwerer fiel, als er für eine so simple Bewegung erwartet hätte –, beglich die Rechnung und steuerte die Tür an. Gelangte hinaus auf die Straße und stand eine Weile im flackernden Fackelschein herum. Drüben an der Tempelfassade grinste Hoiran ihn zahnbewehrt an. Ringil grinste säuerlich und höhnisch zurück, zog tief die Luft ein und schüttelte den Kopf wie ein nasser Hund. Daraufhin kippelte und schwankte die Straße unter ihm und lud zu einem Sturz ein. Mühsam wahrte Ringil sein Gleichgewicht, wartete
ab, bis sich alles wieder beruhigt hatte, und schwankte dann auf weichen Beinen die gepflasterte Straße hinab, einen ruckeligen Schritt nach dem nächsten.
Ab zum Hafen! Ab an Bord der Gunst der Sumpfkönigin.
Inzwischen wäre Eril wohl zurück in dem Gasthaus, wo sie gewohnt hatten, und hätte die Pferde verkauft. Sonderlich viel hätte er in der kurzen Zeit und zu so später Stunde kaum herausgeholt. Und wenn man sie beide zum Sonnenaufgang am getüpfelten Tor vermisste, wäre die Gunst der Sumpfkönigin schon weit draußen auf See, wo man sie nicht mehr verfolgen könnte und keine weiteren Fluchtpläne mehr nötig wären.
Eine Kabine, eine Koje, Abfahrt zur Morgendämmerung, während er schlief.
Es war wie ein Leuchtfeuer, das ihn zu sich hinzog.
»Ringil Eskiath!«
Er torkelte herum. Begriff zu spät, dass der Name eine Falle gewesen war.
Dumm, dumm, dumm, verdammt …
»Na, na, na.« Venj der Axtkämpfer, da an der Ecke einer Seitengasse, die Zähne zu einem wilden Grinsen gebleckt. Bullige Gestalten hinter ihm, ein halbes Dutzend oder mehr. »Hab mir gedacht, das war doch der verdammt windigste yheltethische Akzent, den ich je gehört habe. Hab mir gedacht, das Gesicht kennst du doch von woher.«
Der Krieg, der Krieg, der verdammte Krieg. Würden ihm je die Leute ausgehen, die sein Gesicht vom einen oder anderen blutigen Gemetzel her kannten?
»Hör zu«, brachte er heraus.
»Nix.« Venj spuckte auf den Boden. »Ich hab immer noch ’ne Familie in Trelayne, ich höre die Geschichten. Ringil Eskiath ist ein schwarzer Magier geworden, hat seine eigene Familie
verraten. Es gibt einen Preis auf seinen Kopf, weil er Sklaven befreit und Händler umgebracht hat. Und jetzt ist hier ein Schwertkämpfer aus dem Norden, der Sklavenkarawanen überfällt. Braucht man nicht viel Grips, um zwei und zwei zusammenzuzählen.«
»Schön für dich«, sagte Ringil schwach.
Er glaubte, bei diesen Worten ein paar der Männer hinter Venj laut lachen zu hören. Glaubte nicht, dass das viel helfen würde, wenn’s hart auf hart käme. Er hielt sich aufrecht und bemühte sich, wie eine glaubwürdige Bedrohung zu wirken.
»Du willst das ganz bestimmt durchziehen, Pionier?«
Ein jähes Zucken in den Augen des Axtkämpfers. »Das ist lange her.«
»War das nicht gerade eben? Ich muss das nicht tun, Venj, und du auch nicht. Verschwinde einfach.«
»Einfach verschwinden.« Die Stimme des Axtkämpfers klang heiter und spöttisch vernünftig, als zöge er die Idee ernsthaft in Erwägung. Ringil spürte, wie sich bei dem Tonfall sein Magen verkrampfte. »Ja, das könnten wir, nicht wahr, Jungs? Einfach verschwinden – und uns eine Belohnung von fünfundzwanzigtausend Florin entgehen lassen. Ja, warum nicht?«
»Es sind fünfzehn.«
Vernj grinste. »So oder so, uns reicht’s.«
Eine Woge aus zustimmendem Brummen hinter ihm. Also kein Ausweg. Ringil spannte die rechte Hand an seiner Seite an. Berechnete den Angriffswinkel, allerdings erschöpft – hoffnungslos taub. Erinnerte sich an den Kampf in Xanthippes Lager, erst an diesem Morgen, jetzt verblasst wie ein unmöglicher Traum von Geschwindigkeit und Energie, wie die Geschichte eines alten Soldaten von seiner Jugendzeit und seinem Ruhm, den es niemals gab. Er müsste den Rabenfreund ziehen, das
Drachenzahnmesser würde gegen solche Männer nicht reichen. Nicht gegen so viele, nicht gegen solche. Aber sie waren so verdammt nahe …
Venj beobachtete ihn, während ihm das alles durch den Kopf ging, und nickte.
»Also, kommst du jetzt still und leise mit, oder müssen wir dir die Sehnen durchtrennen
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