Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schmitz
Vom Netzwerk:
verharrten die Szenen für ein paar Augenblicke.
Dann raste der Film weiter, um kurz darauf zum nächsten Schreckensbild zu
versteinern.

    Sie hatte versagt, in ihrem ersten Job als Biologin jämmerlich
versagt. Das Mädchen war tot, weil sie nicht früher eingegriffen hatte. Erst
als es fast zu spät war, hatte sie »Stopp!« geschrien – und dadurch die
Katastrophe ausgelöst. Wegen ihres Rufens war der kleine Bär abgestürzt. Hatte
die Bärin attackiert. War das Mädchen gestorben.

    Wie hatte sie nur glauben können, dieses Bärenprojekt
allein managen zu können? Als Anfängerin ohne Berufserfahrung. Als junge Frau
unter rumänischen Machos. Katharina die Große hatte man sie an der Uni getauft,
an ihren Einsfünfundsiebzig konnte das nicht liegen. Jetzt fühlte sie sich
klein und zerbrechlich wie ein Kind. Allein lag sie in ihrer Plattenbauwohnung
in Ra c a d a u , und es gab niemanden, der sie tröstete.

    Katharina grapschte den iPod vom Nachttisch, verstöpselte
die Ohren und ließ Angela Gheorghiu für sich singen. Vissi d’arte, vissi
d’amore, non feci mai male ad anima viva. Die Arie der Tosca. Ich lebte der Kunst, ich lebte der Liebe,
tat nie einer lebenden Seele weh. Der warme Sopran der Gheorghiu füllte
Katharinas Kopf, drang mit dem Atem tief in ihren Bauch. Der Horrorfilm, der
sich wieder und wieder abspulte, lief erst langsamer und stoppte dann ganz. Nell’ ora del dolor, sang die rumänische Callas, perchè,
perchè, Signor, ah, perchè me ne rimuneri così? In der Stunde des Schmerzes, warum, Herr, oh, warum belohnst du mich
so?

    Katharina ließ die Arie endlos wiederholen, und irgendwann
frühmorgens, als hoch in den Buchen über der Jepilor -Straße der Pirol zu singen begann, schlief sie tatsächlich
ein.

     

8

    Sie ließ ihn am Ende eines Straßendorfs im Tal aussteigen. »Nach
einem Kilometer führt links eine Schotterpiste durch die Felder«, erklärte sie
ihm. »Wo die auf den Bach stößt, ist eine Furt. Dort erwartet er Sie.«

    Schreiber klaubte seinen Rucksack vom Rücksitz und warf
ihn über die Schulter. Es war keiner von diesen knatschbunten Hightech-Backpacks,
die sie in schicken Outdoorläden an Spaziergänger verscherbelten. Hannes’ alter
Lodensack war für die Jagd gemacht. Zur Not konnte man darin ein erlegtes Reh
aus dem Busch tragen. Verblichene Blutflecken verrieten, dass Schreiber das hin
und wieder tat. Er hängte sich das leichte Pirschglas um den Hals und tippte
mit dem Zeigefinger an die Schläfe. »Morgen früh, gleicher Ort, gleiche Zeit.«

    Diana Steinkamp schenkte ihm ein Lächeln. »Frohes
Schaffen!« Sie wendete den Landrover auf der Straße und fuhr zurück. Schreiber
sah ihr nach, bis der Wagen hinter der Kurve verschwunden war. Dann stiefelte
er los. Der Sommertag versprach heiß zu werden. Er sah zu, dass er von der
Teerstraße wegkam, und auch auf dem Schotterweg, der unbeschattet durch
Heuwiesen führte, schritt er scharf aus. Wo die Erlen, die den Bach
begleiteten, dichter wurden, wartete Teddy. Er stand am anderen Ufer im
Jungwuchs und rührte sich nicht. Schreiber zog die Stiefel aus, krempelte die
Hosenbeine hoch und watete durch das Bachbett. Das Wasser war beißend kalt,
Steine piksten seine Sohlen, aber er ließ sich nichts anmerken. Er gab dem
Bärenflüsterer nicht noch einmal die Hand, sondern begrüßte ihn mit einem
flotten »Hi, Teddy«.

    »Hi.«

    Als Hannes die Kleiderordnung für Wanderer − Abschnitt
Füße − wiederhergestellt hatte, zogen sie zusammen weiter. Teddy mied die Fahrstraße.
Auf Wegen, die keine waren, führte er den Reporter durch den Laubwald. Es ging
ständig bergan. Der Waldläufer legte ein Tempo vor, das Schreiber ins Schwitzen
brachte. Zum Glück gab sich Teddy schweigsam und der angegraute Journalist
musste beim Steigen nicht auch noch reden.

    Nach einer Stunde strammen Marschierens wurden Teddys
Schritte kürzer. Er schnallte seinen Rucksack ab und lehnte ihn gegen einen
Baum. Hannes war froh, dass er seinen auch loswurde. Auf seinem Rücken hatte
sich ein Schwitzfleck ausgebreitet, dem ein bisschen Abdampfen nicht schaden
konnte. Erst jetzt fiel dem Reporter auf, was ihn an Teddy heute irritierte: Er
trug keine Sonnenbrille. Sein Blondhaar war immer noch unter dem Kopftuch versteckt,
seine Klamotten genauso tarngefleckt wie gestern, aber die Sonnenbrille fehlte.

    Hannes hatte beim Abendessen in der Villa Diana der
Steinkamp erläutert, was er von der Geheimniskrämerei ihres Schutzbefohlenen
hielt.

Weitere Kostenlose Bücher