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Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schmitz
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ziemlich das Gegenteil des Verhaltens, das der Biologieprofessor
empfahl. Aber was sollte er anderes tun, als dem Bärenflüsterer leise zu
folgen? Hannes war nur Gast auf Teddys Party, ob Musik gespielt wurde und, wenn
ja, wie laut, bestimmte nicht er.

    Langsam näherten sie sich der Hügelkuppe. Ein fiebriges
Gefühl überkam den Reporter, der metallene Geschmack der Gefahr. Als keine zwei
Meter vor ihnen ein Heidelbeerbusch explodierte, fuhr Hannes zusammen wie ein
vom Schuss getroffenes Wild. Ein Haselhuhn strich flügelpurrend ab. Hätte es dabei
krakeelt wie ein Fasan, Schreiber wäre vor Schreck gestorben. Doch das Huhn
segelte still hangabwärts und fiel, wo der Forst lichter wurde, im Gestrüpp
ein. Reflexartig griff Hannes an die Schenkeltasche seiner Hose, in der die
Zigaretten steckten. Rauchen war keine gute Idee, wenn man nicht bemerkt werden
wollte. Er hatte sich schon oft gewundert, wie weit Zigarettenrauch im Wald zu
riechen war. Die Schachtel blieb in der Hose.

    Hinter dem Hügel war vor Jahren eine Lichtung in den Wald
geschlagen worden. Die Stubben der gefällten Bäume zerbröselten bereits.
Fingerhüte wiegten im sanften Wind. Der Platz war vielleicht zwei Tennisfelder
groß und das Erste, was Schreiber bemerkte, war der Hochsitz an seinem unteren
Ende. Das Ding wirkte wie ein gemauertes Schrebergartenhäuschen, nur eben auf
Stelzen. Im Doppelfenster hing ein dunkler Vorhang. Von hinten führte eine
Treppe hinauf.

    Wie um das Monströse dieses Gebaus zu betonen, stand
direkt daneben ein gewöhnlicher Hochsitz. Das Gestell aus Fichtenstangen grob
gezimmert, die Brüstung mit Holzschwarten verkleidet, ohne Dach. Ein armer
Vetter vom Dorf neben der neureichen Verwandtschaft. Was das sollte, war
Schreiber schleierhaft. Warum bauten die zwei Hochsitze, wo einer völlig
ausgereicht hätte, um jede Kreatur, die sich auf der Lichtung zeigte, vom Leben
zum Tode zu befördern?

    Fünfzig Meter vor dem Hochhäuschen entdeckte der Reporter
einen aufgebockten Trog. Er sah aus wie ein der Länge nach durchgeflextes
Ölfass, und das war er vielleicht auch. Die Wanne, in der Schreiber das Futter
vermutete, lag auf einer Art Sägebock genau in der richtigen Höhe für einen
mittelgroßen Bären. Den Trog hatten sie längs zu den Hochsitzen aufgestellt,
damit der Bär beim Fressen quer zum Schützen stand. Zusätzlich war noch eine Seite
mit Pfählen blockiert. Hannes brauchte eine Weile, bis er hinter den Sinn der
Sache kam: Der Bär kam nur von rechts an den Futtertrog heran und präsentierte
dadurch dem Schützen die linke Körperseite. Links, wo das Herz schlägt. An
diesem Ort wurde nicht gejagt, hier wurden Bären hingerichtet. Der Jäger in ihm
fragte sich, was das für Wichte waren, die fünftausend Euro aufwärts
hinblätterten, um einen Bären auf diese Weise zu exekutieren. Wenn er Zeit
gehabt hätte, länger darüber nachzudenken, wäre Schreiber wahrscheinlich
schwermütig geworden. Aber er hatte die Zeit nicht.

    Rechts vom Futtertrog stand eine Art Galgen, aus Eisen
geschweißt und anscheinend im Waldboden einbetoniert. An der Querstange des
Gestells, vier Meter über der Erde, hing an einem Drahtseil ein totes Pferd. Es
war ein Klepper mit schmutzig grauem Fell über den Rippen. Das Seil hatten sie
um den Huf eines Vorderlaufs geschlungen und den ganzen Gaul daran in die Luft
gehievt. Der Hals der Pferdes war auf bizarre Weise verdreht, das Maul
aufgerissen, als ob es wieherte. Bei allem Grauen war Schreiber der Anblick
seltsam vertraut. Er erinnerte ihn an das Bild, das vor vielen Jahren die Wand
über seinem Schreibtisch geziert hatte: Picassos Guernica -Gemälde aus dem Spanischen Bürgerkrieg.

    Plötzlich begann der aufgeknüpfte Kadaver zu baumeln. Der
Reporter nahm sein Fernglas vor die Augen und fokussierte es auf das Pferd. Ein
Bär tauchte daneben auf, Hintertatzen auf der Erde, Vorderpranken gegen den geblähten
Pferdebauch gestützt, stand er aufrecht neben dem Aas. Es war ein großes
Exemplar, dunkelbraun im Fell mit einem helleren Kragen um den Hals. Der Bär
grub seine Zähne in die Schulter der Mähre und riss ein Stück Fleisch aus dem
Muskel. Er ließ sich auf alle viere fallen und schlang den Brocken hinunter.
Man hörte das Grunzen des Bären, und als er sich wieder aufrichtete und seine
Vordertatzen heftig gegen den Pferdeleib drückte, entfuhr dem Kadaver ein
flappernder Furz.

    Auf Schreiber wirkte die Szene obszön. Ihm kam es vor,
als wären beide Tiere, das tote Pferd

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