Das Karpaten-Projekt
auch wenn das
Bärenfüttern nicht gesetzlich verboten ist, so stört es doch die öffentliche
Sicherheit und Ordnung. Immerhin haben wir schon den zweiten Todesfall
innerhalb weniger Wochen in Ra c a d a u. Die Ordnung in unserer Stadt ist bedroht. Wollen Sie nicht
eingreifen?«
Katharina Orend hatte in Deutschland fast vergessen,
welch großartige Schauspieler ihre Rumänen doch waren. Dass der Politiker
Corodi große Gesten und große Worte liebte, lag nahe. Aber selbst der dickliche
Chefkommissar war empfänglich für Theatralik im Alltag. Zwanzig seiner
Polizisten hatte er im Mai zum Ballettunterricht abkommandiert. Ein Tanzlehrer
brachte ihnen dort bei, sich auf den Kreuzungen von Brasov eleganter zu
bewegen.
Bei der Ehre packen ließ sich Samabul nicht. »Die polit ia hat noch immer ihren Mann
gestanden, wenn die öffentliche Ordnung bedroht war, domnule vice-primar. Falls die anderen Herren auch bereit sind,
ihre Pflicht zu tun, werd en wir ab sofort einen Streifenwagen mit zwei
Mann Besatzung speziell für die Strada
Jepilor bereitstellen.«
Corodi erging sich in Lobreden auf die Polizei, ehe er
sich den Müllkutscher vorknöpfte. Mit Vasile Iliescu hatte er leichtes Spiel.
Als Vizebürgermeister war Corodi der Vorgesetzte des Abfallentsorgers. »Wie
viele von diesen amerikanischen Wundercontainern bräuchten wir für die Jepilor -Straße, Iliescu?«
Der Müllchef zählte es an seinen Wurstfingern ab. »Zwanzig, domnule vice-primar. «
»Bestellen!«, befahl Corodi.
»Und die Abfuhr? Wie soll ich die Dinger leeren?«
»Ich möchte Ihren vielleicht nicht ganz ernst gemeinten
Vorschlag von vorhin aufgreifen, Iliescu.« Der Politiker wandte sich Katharina
zu. » Domnisoara Orend, sehen Sie sich in der
Lage, für e inen Mülllaster, wie wir ihn brauchen, in Deutschland
Sponsoren aufzutreiben?«
Sie war perplex. »Wie teuer ist denn so ein Ding?«
Iliescu grinste. »200.000 Euro.«
»Puh.« Katharina ließ Luft ab. »Gibt’s auch gebrauchte?«
»Wenn Sie einen passenden finden.«
Sie hatte keine Ahnung, wo sie so eine Karre auftreiben
und das Geld dafür zusammenschnorren sollte. Sie wusste nur, dass sie jetzt
nicht Nein sagen durfte. Ihr war flau, aber sie sagte: »Okay, ich werde so ein
Fahrzeug beschaffen.«
Der Vizebürgermeister entlockte Hulanu noch die Zusage,
Zusatzfütterungen in den Wäldern um Ra c a d a u anzulegen, wenn es so weit war. Ovidiu Vandra vom Wildforschungsinstitut
versprach, die ganze Aktion zu moderieren und wissenschaftlich zu begleiten.
Corodi sülzte noch ein wenig über den guten Geist von Brasov,
der Bürger und Behörden auch in schwerer Stunde zusammenstehen lasse, und hob
dann die Tafel auf.
10
Seit er keinen Hund mehr hatte, war Schreiber längst nicht
mehr so viel auf den Läufen wie früher. Jünger war er überraschenderweise auch
nicht geworden. Beides bekam er jetzt zu spüren. Er wusste nicht, wie viele
Meilen sie seit dem Morgen heruntergestiefelt waren. Nur dass es langsam genug
für ihn waren, meldete sein Körper in kürzeren Abständen. Sein linkes Knie
knirschte und der alte Lodensack, auf den er am Morgen noch so stolz gewesen
war, malträtierte sein Kreuz. Da musst du jetzt durch, Hannes, redete er sich
gut zu. Schreiber hätte sich eher die Zunge abgebissen, als den Teddybären um
eine Pause zu bitten.
Stattdessen kramte er in Dylans Repertoire nach einem
passenden Song. Der Meister schien kein großer Wanderer zu sein. Erst nach
längerem Nachdenken stieß Schreiber auf ein abseitiges Lied aus den Sechzigern,
das ihm brauchbar erschien. »Well, I’m
walkin’ down the line«, sang er leise, »I’m walkin’ down the line, an’ I’m walkin’ down the line, my feet will be
a-flyin’ to tell about my troubled mind.« Den Literaturnobelpreis würde
Bobby D. für diesen Text sicher nicht bekommen, aber das Stückchen hatte eine
schmissige Melodie, die Schreiber Schritt für Schritt weiterhalf. Er summte sie
wie ein Mantra, während um ihn der Sommertag in einem langen, warmen Abend
auslief.
So recht hatte sich Hannes keine Gedanken gemacht über
das Quartier, in dem er nächtigen würde. Er war von einem Zelt ausgegangen.
Diese modernen Dinger passten problemlos in einen Rucksack, wie Teddy ihn trug.
Eine Isomatte hatte er jedenfalls seitlich daran festgeschnallt. Schreiber
besaß kein solches Teil. Er gedachte, in seinem kuscheligen Schlafsack, den er
auch in der Jagdhütte benutzte, zu pennen. Für eine Nacht würde das
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