Das Karpaten-Projekt
mochte nicht der rechte Ort sein, um im Bärenland
zu campen, aber er war froh, dass er nicht länger laufen musste. Beim Umsehen
entdeckte er zwei weitere Wege, die aus der Fichtenhöhle in die Dickung
führten.
»Wozu sind die gut?«
»Der eine führt ins Badezimmer, der andere in die Speisekammer.
Beide haben einen eigenen Ausgang ins Freie.«
»Nicht schlecht.«
Teddy blies lautstark Luft durch die Nase. »Glauben Sie,
ich hätte keine Erfahrung mit so was? Meine Vorräte sind in bärensicheren
Containern deponiert. Die hab ich aus den Staaten mitgebracht. Kommen Sie, ich
zeig Ihnen auch die Toilette.«
Hannes band seine Schuhe wieder zu und quälte sich in die
Senkrechte. Wohnungsbesichtigungen waren unvermeidlich, wenn man bei Deutschen
zu Gast war.
Toilette war ein großes Wort für den Donnerbalken, der
aus einem Loch in der Erde mit einer Querstange darüber bestand. Neben der
Grube stand ein Säckchen Kalk. »Den streuen Sie bitte darüber, wenn Sie fertig
sind.«
Schreiber staunte. Es stank kein bisschen. Dann gingen
sie zurück ins Schlafzimmer und nahmen von dort den nächsten Pfad. Der Weg war
deutlich länger. Wo er fast den Dickungsrand erreichte, schob Teddy mit den
Stiefeln eine Schicht Fichtennadeln weg. Darunter kam eine metallene Box zum
Vorschein. Er öffnete sie, holte zwei silberne Beutel heraus und richtete dann
alles wieder so her, wie sie es vorgefunden hatten.
Im Camp gab es einen kleinen Gaskocher und einen
Leichtmetalltopf. Aus dem Sack, der an einer Fichte hing, befüllte Teddy ihn
mit Wasser und brachte es zum Kochen. Er schnitt den oberen Rand der Silbersäckchen
ab, stellte sie auf den Tisch und goss heißes Wasser darüber.
»Adventure
food«, sagte er. »Cashew and rice. Schmeckt prima und ist vegetarisch.
Sie löffeln es am besten direkt aus dem Beutel.«
Hannes kramte aus seinem Rucksack das Allzweckbesteck,
das er bei Tchibo abgegriffen hatte. Es sah aus wie ein Taschenmesser. Er
klappte den Löffel heraus und begann zu futtern. Das Zeug schmeckte
überraschend gut, und die Portion reichte aus, um einen hungrigen Kerl satt zu
machen. Er leckte den Löffel sauber ab, verstaute das Werkzeug in seinem
Rucksack und holte Block und Stift heraus.
»Erzählen Sie mir ein bisschen von sich«, sagte er. »Alter,
Ausbildung, wo Sie herkommen und so. Und vielleicht verraten Sie mir ja auch
Ihren richtigen Namen.«
Der Hausherr sah ihn erstaunt an. »Das möchte ich nicht.
Wenn Ihr Artikel erscheint, wissen die Rumänen sonst, wer ich bin, und nehmen
mich an der Grenze fest.«
Keine schlechte Ausrede, dachte der Reporter. Nur, wie
schreibt man ein Porträt über ein Phantom? Er würde mit Diana Steinkamp reden
müssen. Wenn sie eine Magazin -Geschichte
wollte, musste ihr Teddybär etwas von sich preisgeben. Anders ging es nicht.
Hannes klappte seinen Block wieder zu. »Dann eben nicht«,
sagte er und sah sich nach einer Stelle um, auf der er seinen Schlafsack
ausbreiten konnte. Es war neun Uhr geworden. Das Licht in der Dickung schwand
zusehends. Auf einem flachen Stück Waldboden rollte er die Penntüte aus, legte
den Rucksack als Kissen unters Kopfende. Er zog nur die Stiefel aus, bevor er
in den Schlafsack kroch, streckte sich wohlig aus und schlief sofort ein.
11
Waren es die Wölfe, die ihn geweckt hatten? Schreiber hörte
ihr Heulen zum ersten Mal. Lang gezogen, auf- und abschwellend. »Huuuuhuuhuuuuu«.
Es waren mindestens zwei Tiere, das Geheul kam aus unterschiedlichen
Richtungen. Der Vorheuler, den Hannes weiter unten im Tal verortete, hob an und
nach der ersten Strophe fielen die Stimmen oberhalb der Dickung ein. Wie der
Wechselgesang eines Gregorianischen Chors hörte sich das Frage-und-Antwort-Spiel
der Wölfe an. Er hätte gern gewusst, was sie sich zu sagen hatten. Vorheuler: ›Wer
ist der ältere Herr in den Fichten, den ich noch nie hier gerochen habe?‹
Rudel: ›Den Typen kennen wir auch nicht.‹ Aber das war natürlich vermenschelnder
Quatsch.
Hannes fürchtete sich nicht vor den Wölfen. Er hatte vor
ein paar Jahren über ihre Rückkehr nach Deutschland berichtet und wusste, was
sie sicher nicht taten: Menschen anfallen. Bären taten das. Warum Wölfe dennoch
gehasst und Bären geliebt wurden, wäre ein schönes Thema für einen
Feuilletonredakteur gewesen. Statt Locken auf der Glatze zu drehen, könnte sich
so ein Feingeist doch mal kluge Gedanken über das Image von Rotkäppchen-Fressern
und Teddybären machen.
Nach einer
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