Das Karpaten-Projekt
Bürgermeister von Brasov. Katharina konnte sich nicht merken, welcher
Partei er angehörte. Hier wechselten sie das Parteibuch ohnehin oft.
»Besonders freut es mich natürlich, Sie, domnisoara Orend, in unserer Herrenrunde begrüßen zu können. Wie
geht es Ihrem Arm?«
Katharina trug eine Bluse mit langen Ärmeln, die den
Verband fast völlig verbarg. Morgens war sie noch einmal im Spital gewesen, um
ihn erneuern zu lassen. Die Krallen der Bärin hatten den Muskel aufgeschlitzt.
Alle Sehnen und Knochen waren heil geblieben. Sie lächelte gewinnend, auch wenn
ihr Corodis domnisoara auf den Senkel ging. Für ihn
blieb eine unverheiratete Frau wie sie immer ein Fräulein.
»Danke der Nachfrage, domnule Corodi. Es ist nur ein Kratzer.« Katharina versuchte, den Ball flach zu halten.
Schlimm genug, dass das Mädchen gestorben war. Da musste sie nicht auch noch ›schwer
verletzt‹ sein, wie das Lokalradio meldete.
»Das freut mich zu hören. Vielleicht schildern Sie uns zunächst,
wie es zu dem tragischen Tod in Ra c a d a u gekommen ist.« Corodi trug eine Brille mit runden, randlosen
Gläsern auf seiner schlanken Nase und das Haar nach hinten gegelt. Für
modern hielt er auch die englischen Brocken, die er in seine Sätze rührte.
Diesmal war es ein »Ladies first«, mit dem er, die Herren süffisant anlächelnd,
Katharina das Wort erteilte.
Die Biologin hatte nicht damit gerechnet, als Erste reden
zu müssen. Das Sprechen in Zirkeln wie diesem war ihr fremd. Polizeichef,
Forstamtsleiter, Chef der Müllabfuhr, Leiter des Wildforschungsinstituts,
dazwischen sie, zwanzig Jahre jünger als die Granden der Brasover Szene. Sie
schluckte zweimal trocken, leerte das Mineralwasserglas, verschluckte sich ein
wenig und begann hüstelnd. Sie schilderte den Vorfall an der Jepilor -Straße, so nüchtern sie konnte.
Dass ihr Zuruf den Angriff der Bärin auf das Mädchen letztendlich ausgelöst
hatte, verschwieg Katharina. »Am Ende läuft es immer auf dasselbe hinaus«,
schloss sie, »wir brauchen in Ra c a d a u bärensichere Mülltonnen und Polize istreifen, die die
Fütterer verjagen.«
Katharina war klar, was jetzt passieren würde. Vasile
Iliescu, der Chef aller Brasover Müllmänner, würde das Wort ergreifen und es
würgen, bis es röchelte. Iliescu war ein Metzger von einem Mann. Aus dem
Ausschnitt seines offenen Hemdes quoll das Brusthaar. Seine Arme waren ebenso behaart,
und seine Statur legte den Verdacht nahe, er sei in einem früheren Leben selbst
Braunbär gewesen. Für einen Bären ist er allerdings zu dumm, sagte sich
Katharina und nahm einen Schluck kalten Mokka aus dem Tässchen vor ihr. Was
hatte sie sich mit diesem Ignoranten schon gefetzt! Iliescu empfand jeden ihrer
Vorschläge als Angriff auf die städtische Müllabfuhr und ihren Chef. Auf seine
Müllwägelchen mit Schiebetür war er stolz wie auf sein eigen Fleisch und Blut.
»Siebenhundert Euro haben die Container an der Strada Jepilor gekostet«, brüllte er
fast, »pro Stück! Das Modernste auf dem Markt. Empfohlen von der EU in Brüssel.
Sogar eine Kindersicherung haben meine Container.«
Katharina verdrehte die Augen. Als ob das Problem in Ra c a d a u
spielende Kinder wären, die massenhaft in Müllcontainern festsäßen.
Der Müllmann legte nach. »Das Problem sind nicht unsere
Container, meine Herren, das Problem sind die Leute in Ra c a d a u.
Sie lassen die Schiebetür ei nfach offen stehen, damit sich die Bären
bedienen können.«
»Da haben Sie recht, domnule Iliescu.« Katharina hatte in den ersten Monaten ihres Jobs gelernt, dass es
sich gut machte, den Männern entgegenzukommen, bevor man ihnen widersprach. Das
gefiel auch Iliescu. Er schaute den Vizebürgermeister mit einem
Sag-ich-doch-Gesicht an. »Aber die Bären haben inzwischen gelernt, die Deckel
der Müllwägelchen zu öffnen. Dazu brauchen sie keine menschliche Hilfe mehr.
Was wir benötigen, sind bärensichere Container aus Amerika. Da schließt sich
der Deckel automatisch. Man kann ihn nicht offen stehen lassen, selbst wenn man
das will.«
»Ich kenne die Dinger«, sagte Iliescu. »Sie passen nicht
zu unseren Müllwagen. Wir könnten sie nicht leeren, domnule vice-primar. Aber vielleicht hat ja die reiche Tierschutzorganisation
aus Deutschland, die domnisoara Orend bezahlt, genug Geld, um uns
neue Mülllaster zu kaufen. Oder Brigitte Bardot.«
Die einst begehrte Blondine hatte sich vor Jahren gegen
die Bärenjagd in Rumänien eingesetzt und dadurch für
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