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Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schmitz
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Weile brach der Gesang der Wölfe abrupt ab.
Stille blieb zurück, allumfassend wie die Schwärze der Karpatennacht unter den
Fichten. Schreiber drückte auf den Lichtknopf seiner Armbanduhr. Zwei Uhr
morgens. An Schlaf war nicht zu denken. Sein Rücken schmerzte vom Liegen auf
dem Waldboden. Die Blase drückte wie nach dem Leeren einer Kiste Bier. Er
kramte die Kopflampe aus seinem Rucksack und machte sich auf dem Weg zur
Toilette. Stehend pinkelte er in die Grube, packte nach dem Schütteln wieder
ein und wollte sich gerade auf den Rückweg machen, als er das Geräusch hörte.
Es schien vom Bärenwechsel zu kommen und klang wie das Brechen eines trockenen
Asts. Das Dickicht dämpfte zwar, aber Schreiber war sicher, dass sich dort im
Busch etwas bewegte.

    Instinktiv schaltete er seine Stirnlampe aus. Er wollte
den Bären nicht auch noch mit Licht anlocken. Wenn es denn ein Bär war. Es gab
tausend Tiere im Wald, Hirsche, Rehe, Wildschweine, Füchse, Hasen,
Eichhörnchen. Warum musst du alte Unke immer gleich das Schlimmste annehmen,
schalt sich der Reporter, einen der Lieblingssätze seiner verflossenen Vera zitierend.
Mit ausgestreckten Armen suchte er seinen Weg zurück zu Teddys Behausung. Alle
paar Schritte blieb er stehen, um zu lauschen. Kurz vor der Kammer knackte es
wieder. Näher diesmal, und lauter. Ein nachtwandelndes Eichhörnchen war das
nicht. Vielleicht spielten ihm die Nerven einen Streich, aber als Hannes zurück
im Camp war, meinte er, eine Stimme zu hören. Kein Bärenbrummen, kein Schrecken
eines Rehs, es klang eher wie ein halb verschluckter Fluch. Hannes ging zu
Teddy und rüttelte ihn an der Schulter.

    »Menschen«, zischelte er und deutete mit dem Kopf
Richtung Wechsel.

    Teddy hatte Mühe, aus den Tiefen seiner Träume aufzutauchen.
»Was? Wo?«, stammelte er. Dann brach wieder ein Ast.

    »Weg hier!« Schreiber schnappte seinen Rucksack und
sauste los. Scheiß was auf den Schlafsack!, dachte er und schlug den Pfad zum
Donnerbalken ein. Seine Augen hatten sich inzwischen auf die Dunkelheit
eingestellt. Er kam schneller vorwärts. Besonders, als in Teddys Höhle ein
Scheinwerfer aufflammte, weiß und grell wie von einem Flutlichtmast auf
Schalke. Er achtete nicht auf den Lärm der Leute hinter ihm. Rumänische Flüche
verstand er ohnehin nicht. Hannes gab einfach nur Gas. Dass Teddy nicht bei ihm
war, fiel ihm erst auf, als er die Dickung verlassen hatte. Wahrscheinlich hat
er den Weg zur Vorratskammer genommen. Schreiber blieb einen Augenblick stehen
und hielt nach dem Bärenflüsterer Ausschau. Die Stimmen aus dem Fichtendschungel
kamen näher. Wie ein vor den Treibern fliehendes Tier lief er instinktiv
abwärts, raste durch ein Buchenaltholz, in dem die Bäume weiten Abstand zueinander
hielten, setzte über ein morastiges Rinnsal, stolperte über am Boden liegendes
Totholz, rappelte sich auf und rannte weiter.

    Nach ein paar Hundert Metern blieb Hannes die Luft weg.
Seitenstiche plagten ihn wie als Jungen im Sportunterricht. Er hielt an,
schnaufte seine Angst aus und hechelte. Dann brach der Schuss. Der dumpfe Knall
einer großkalibrigen Büchse rollte durch den Wald. Schreiber warf sich an die
Erde. Getroffen war er nicht. Er hob den Kopf und sah sich um. Hier im Hochwald
war es nicht gar so finster, erkennen konnte er dennoch nichts. Vorsichtig
schlich Hannes weiter. Er wunderte sich, wie lautlos er vorankam, und sah auf
seine Füße. Er war auf Socken unterwegs.

    »Scheiße!« Er hatte die Stiefel im Camp stehen gelassen,
war wohl schon in Strümpfen auf dem nadelgepolsterten Boden zur Toilette
marschiert und hatte die Treter bei der Flucht schlicht vergessen. »Granatenscheiße«,
zischte Schreiber noch mal und pirschte dann weiter. Was blieb ihm anderes?
Sollte er zurückgehen und sich wegen seiner Wanderschuhe erschießen lassen?

    Während er versuchte, so leise, schnell und weit wie möglich
von der Dickung wegzukommen, schwirrten Fragen durch seinen Kopf wie
Nachtfalter um eine einsame Straßenlaterne. Wer waren die Männer, die in ihr
Camp eingedrungen waren? Hatten sie Teddy erwischt? Wem galt der Schuss? Dem
Bärenflüsterer? Schreiber selbst? Wurde jemand getroffen?

    Er versuchte, seine Panik in den Griff zu bekommen. »Ruhig,
Brauner«, dehnte er, wie früher sein Sohn, wenn er den Alten von der Palme
holen wollte. Das half ein bisschen. »So brav, mein Hund«, lobte sich Hannes
wie seinen Weimaraner selig. »So ist fein.«

    Schreiber zwang sich, nicht mehr so oft über

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