Das Karpaten-Projekt
die Schulter
zu schauen, sondern in einem Tempo, das er lange halten konnte,
weiterzuwandern. Bis jetzt war er planlos geflüchtet. Nun überlegte er, wohin
er sich wenden sollte. Die Karte in seinem Rucksack fiel ihm ein, aber ohne
Licht war die nicht zu lesen. Die Stirnlampe verkneifst du dir besser, Hannes,
dachte er und marschierte weiter. Grobe Richtung: bergab. Wenn dies die
nördlichen Ausläufer der Fogarascher Berge waren, dann lagen die nächsten
Dörfer im Tal des Olts, das Schreiber mit dem Taxi im Nebel durchfahren hatte. Von
dort konnte er die Steinkamp anrufen und sich abholen lassen. Alles andere
würde sich finden.
Hannes hatte Glück. Nach vielleicht zwei Kilometern stieß
er auf einen Bach, dem er zu Tal folgen konnte. Irgendwann musste ihn das
Wasser zum Olt führen, da war er auch ohne Karte ziemlich sicher. Er durfte
sich nur nicht vorher erwischen lassen.
12
Als die Sonne über den Karpaten aufging, strahlend schön, als
wäre nichts gewesen, saß Hannes Schreiber am Ufer des Baches und kühlte seine
heiß gelaufenen Füße. Die Socken, auf denen er aus dem Wald geflohen war,
hingen ausgewaschen im Weidengeäst. Bis hierher hatten sie gehalten, und ihr
stolzer Besitzer hoffte, dass sie es noch eine Weile machen würden. Das Dorf,
dessen Dächer er mit dem Fernglas entdeckt hatte, war mit bloßem Auge noch
nicht zu erkennen.
Schreiber zog die Quanten aus dem Wasser und inspizierte
sie gründlich. Unter den Ballen hatten sich Blasen gebildet, so groß wie früher
die Fünfmarkstücke. Sie schmerzten bei jedem Schritt. Aber darauf konnte er
keine Rücksicht nehmen. Er zog die nasskalten Socken darüber, warf sich den
Rucksack auf den Buckel und zog weiter. Er musste herausbekommen, wie das Kaff
vor ihm hieß, um Diana Steinkamp dorthin dirigieren zu können. Links vom
Bachufer führten Fahrspuren entlang. Hannes ging, durch die Weiden am Ufer
gedeckt, auf der rechten Seite weiter. Er wollte von niemandem gesehen oder auf
dem Weg abgegriffen werden. Schreiber war sich inzwischen ziemlich sicher, dass
es sich bei den Männern, die in Teddys Camp eingedrungen waren, um Förster
handelte. Wer sonst kannte sich im nächtlichen Wald so gut aus? Sie mussten an
den Fütterungen beobachtet worden sein. Wahrscheinlich war man ihnen zum
Lagerplatz gefolgt. Oder die Grünröcke hatten das Camp schon früher entdeckt.
Auf seiner Seite vom Bach lag eine Wiese, die den ersten
Schnitt hinter sich hatte. Es ging sich angenehm auf dem Gras, wenn man nach
vielleicht fünfzehn Kilometern ohne Schuhe von angenehm reden konnte. Die
Gräben, die alle paar Hundert Meter in den Bach mündeten, durchwatete Hannes.
Seine Hosenbeine waren ohnehin bis zu den Knien nass vom Tau. Als er aus einem
der Gräben auftauchte, hörte er das Motorengeräusch. Es kam vom Wald her auf
ihn zu. Schreiber rutschte in den Graben zurück und lugte über den Rand. Das
Fahrzeug fuhr langsamer, als es die Piste erforderte. Im Schritttempo glitt ein
klappriger, grüner Geländewagen am Bach entlang. Schreiber sah das gelbe romsilva -Schild auf der Beifahrertür und
zog den Kopf ein. Sein Herz raste. Er drückte sich in die Böschung wie ein Hase
in die Furche. So langsam, wie er gekommen war, entfernte sich der grüne Geländewagen
Richtung Dorf.
»Sie suchen dich, Hannes«, flüsterte Schreiber vor sich
hin. »Heute bist du das Wild und nicht der Jäger.« Es war eine Erfahrung, auf
die er gern verzichtet hätte. Noch vorsichtiger als vorher pirschte er weiter.
Wusste er, ob hinter dem nächsten Busch die Förster beim Frühstück saßen?
Es war aber nur ein Zigeunerpaar, das unter einem Walnussbaum
lagerte und Brot und Zwiebeln aß. Woher er wusste, dass es Roma waren? Ihre
Kleider waren noch schäbiger als die der anderen Bauern, die Schreiber bisher
gesehen hatte, ihre Gesichtsfarbe dunkler und das Haar tiefschwarz. Die beiden
hatten Hannes zuerst entdeckt und starrten ihn wortlos an.
»Buna diminea t a«, grüßte der Reporter so b eiläufig
wie möglich.
»Buna «, antwortete der Mann, und sein
Blick glitt an Schreiber herunter, bevor er bei den Socken ve rweilte.
Was er sagte, verstand Schreiber nicht.
»Turist german«, radebrechte er. Und ärgerte sich im nächsten Augenblick, dass er sich als
Deutscher zu erkennen gegeben hatte.
»Ah, Germania,
foarte bun.« Der Zigeuner strahlte ihn ohne Schneidezähne an. Er war
vielleicht dreißig Jahre alt, seine Frau mindestens zehn Jahre jünger. Der Mann
sagte etwas, das
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