Das Karpaten-Projekt
Katharina Orend stapfte vor ihm auf dem Pfad bergan. Sie war
kräftig gebaut, nicht dick, nicht dünn. Schreiber gab sich Mühe, nicht ständig
auf ihren Hintern zu schauen.
Seit einer Stunde stiegen sie durch den Buchenwald über Ra c a d a u.
Es war kurz nach zehn, Hannes schwitzte schon wieder. An zwei leeren
Bärenfallen waren sie vorbeigekommen. Angegammelte Fleischköder hingen
unberührt von der Gitterdecke. Die Sicherungssplinte der Falltüren saßen noch
fest. Es roch appetitan regend – für Bären.
Die dritte Falle stand im Unterholz rechts des Pfades,
von dem man nicht wusste, wer ihn öfter benutzte, Homo sapiens oder Ursus
arctos. Hannes war sich bewusst, dass das Zusammentreffen mit einem Bären hier
oben mehr als eine Möglichkeit war. In Katharinas Schlepptau war ihm trotzdem
weniger bang um die Buchse als bei dem Gewaltmarsch mit Teddy. Allein wäre die
Biologin sicher schneller unterwegs gewesen. Hannes merkte es an den Stellen,
die sie leichtfüßig nahm, während er schwergängig stapfte. Sobald sie merkte,
dass er zurückfiel, hielt Katharina kurz inne und ließ ihn aufschließen. Ihre
Nähe gab ihm ein Gefühl der Sicherheit, sie machte ihre Arbeit, und wie
Schreiber die Biologin einschätzte, machte sie die gut.
Unterwegs dachte er darüber nach, ob er ihr von Teddy,
der Steinkamp, den vergällten Fütterungen und der Flucht vor den Förstern
erzählen sollte. Er fand es noch zu früh. Das Risiko, es sich mit ihr zu
verscherzen, wollte er nicht eingehen. Schreiber überlegte stattdessen, wohin
Teddy entschwunden sein könnte und warum Diana Steinkamp morgens weggefahren
war, ohne mit ihm zu sprechen. Die weiß genau, dass ich nicht so dumm bin,
allein zur Polizei zu gehen, dachte Hannes. Wahrscheinlich hatten die beiden
das abgekaspert: Teddy verschwindet und Schreiber muss den Mund halten.
Katharina streckte die geöffnete Hand hinter sich aus.
Bleib, hieß das, nicht nur in der Zeichensprache für Hunde. Sie umschlug eine
Stechpalme, tauchte sofort wieder auf und winkte ihn heran. Schreiber hob die
Füße bei jedem Tritt, um Rascheln zu vermeiden. Hinter dem stacheligen Immergrün
sah er die Falle.
In dem Eisenkäfig kauerte ein brauner Pelzball, kleiner
als ein Bernhardiner. Er drückte sich in den hintersten Winkel der Eisenstäbe
und maunzte kläglich. Dass das Bärenjunge erst in diesem Winter geboren worden
war, erkannte selbst Schreiber. Warum Katharina eine Spraydose aus der Gürteltasche
riss und entsicherte, erfuhr er zwei Sekunden später. Schnaufend wie eine
Dampflok donnerte die Bärenmutter den Hang herab. Sie galoppierte in
Riesensätzen auf Schreiber zu, und der tat das Falscheste, was er in diesem
Moment tun konnte: Er rannte weg. Natürlich hatte er bei Herrero gelesen, dass
das bestenfalls sinnlos war, wenn nicht kontraproduktiv. Aber er konnte nicht
anders. Nicht er rannte, es rannte ihn.
Weit kam er nicht. Nach drei, vier Schritten stolperte
Hannes über ein Stück Totholz und fiel. Er drehte den Kopf und sah, wie
Katharina scheinbar ganz ruhig blieb. Sie ließ die Bärin bis auf fünf Meter
herankommen. Dann schoss eine orange Wolke aus ihrer Spraydose. Sie traf die
Bärin wie ein Hammer, stoppte sie auf der Stelle, warf sie auf sich selbst
zurück. Das Tier brüllte wie angeschossen.
Schritt für Schritt kam Katharina rückwärts auf ihn zu.
Die Spraydose in der Hand zog sie sich zurück. Als sie bei Schreiber angekommen
war, tauchte die Bärin torkelnd aus dem Nebel wieder auf. Sie fuhr mit der
Tatze durchs Gesicht, schüttelte sich wie ein nasser Hund und machte Anstalten,
noch einmal anzugreifen. Sie war wenige Meter entfernt, als Katharina ein
zweites Mal sprühte. Wieder schoss die Gaswolke auf die Bärin zu, wieder
brüllte das Tier. Katharina nahm Schreiber bei der Hand, zog ihn hoch und
führte ihn weg. Langsam zuerst, dann schneller werdend. Nach fünfzig Metern
rannte auch sie. Seite an Seite liefen der Reporter und die Biologin durch das
Altholz. So lange, bis beide japsend stehen blieben und sich umsahen. Von der
Bärin war nichts zu sehen.
»Weiter«, sagte Katharina und marschierte schnell bergab.
Hannes hechelte hinterher. Dies war kein Job für alte Männer. Er versuchte,
gleichmäßig zu atmen. Schweigend stiegen sie hinunter nach Ra c a d a u.
Nach einer halben Stunde standen sie bei den Autos auf der Jepilor -Straße.
Hannes holte die Wasserflasche aus dem Rucksack und bot
Katharina einen Schluck an. Ihr schmales Gesicht war rot von
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