Das Karpaten-Projekt
meine Teleskopspritze raus und betäube es. Der Kleine schläft ein, wir vermessen
ihn. Ich klipse ihm den Sender ans Ohr. Ioan hilft mir, ihn aus der Falle zu
tragen. Wir legen ihn ab und gehen auf Distanz. Erst als ihr Junges langsam
wach wird, schleicht die Alte von irgendwo heran. Sie stupst es mit der
Schnauze und führt den kleinen Torkelmann weg. Ioan und mich behandelt sie wie
Luft.«
»Vielleicht wollte sie einfach nicht noch mal
Pfefferspray in die Fresse kriegen.«
Katharina schüttelte den Kopf. »Eigentlich sollte sie ihr
Baby mit Zähnen und Klauen verteidigen. Die weiß doch nicht, dass wir es
besendern wollen und nicht killen.«
»Es sind wilde Tiere. Die machen, was sie wollen«, sagte
Schreiber. »Zwei Rehe reagieren auf ein und dieselbe Störung völlig
unterschiedlich. Eins flieht sofort, das andere äst ruhig weiter. Tiere sind
Individuen wie Sie und ich. Ich renn weg, wenn der Bär kommt, Sie bleiben
stehen. Wie wir uns verhalten, hat viel mit Erfahrungen zu tun.«
»Haben Sie immer noch daran zu knabbern? Als Mann, meine
ich.« Mitleid um die Mundwinkel, Schalk im Blick, sah die Biologin den Reporter
an.
»Haben Sie mal Hemingway gelesen?«, fragte Hannes zurück.
Das brachte Zeit.
Katharina verdrehte die Augen. »Was ich von dem kenne,
riecht nach Brusttoupet.«
»Versuchen Sie es mal mit Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber. Die erste der neunundvierzig
Storys. Es geht um eine Löwenjagd. Macomber schießt in der Savanne einen Leo
krank. Bei der Nachsuche im hohen Gras nimmt er Reißaus, als der Löwe angreift.
Seine Frau hasst ihn dafür und geht mit dem Jagdführer fremd.«
»Harte Sitten«, spöttelte Katharina, »Blut und Hoden.«
Schreiber ließ sich nicht irritieren. Dafür liebte er
Hemingways Erzählungen zu sehr. »Es kommt noch besser. Am nächsten Morgen
findet Macomber seinen Mut wieder. Er hält einem attackierenden Büffel stand
und schießt so lange, bis dessen Nasenspitze fast seinen Gewehrlauf berührt.«
»Dann ist ja noch Hoffnung.«
Diese Frau war vielleicht einen Tick zu vorlaut, dachte
Hannes. Weil er das in Katharinas Alter auch gewesen war, hängte er es nicht
allzu hoch. »Macombers Frau schießt vom Wagen aus auch in Richtung Büffel und
trifft ihren Mann in den Kopf.«
Katharina sah Schreiber lange an. Ihre Bernsteinaugen
blinzelten nicht einmal. »Was will der Dichter uns damit sagen?«
»Vielleicht, dass der Krieg noch nicht verloren ist, wenn
man in der ersten Schlacht flieht«, sagte Hannes und nahm einen Schluck
Mineralwasser, denn sein Mund war trocken geworden. »Und dass auch ein kurzes
Leben glücklich enden kann.«
Katharina sagte nichts. Sie mischte sich noch ein Radler
und trank das Glas in großen Zügen leer. »Haben Sie heute noch was vor?«,
fragte sie dann. Schreiber verneinte.
»Ich hab meiner Disi versprochen, zum Abendessen
vorbeizukommen. Wollen Sie mich nicht begleiten?«
»Gern. Auch wenn ich nicht weiß, wer Ihre Disi ist. Keine
zweite Bärin, oder?«
Sie lachte gluckernd. »Keine Angst, es ist meine Großmutter.
Die hat zwar Haare auf den Zähnen, aber mich liebt sie heiß. Besonders seit ich
zurück in Rumänien bin.«
»Sie haben mir noch gar nichts von sich erzählt.«
»Wir kennen uns auch noch nicht lange.«
»Richtig.« Schreibers letzte Tage waren mit Ereignissen
derartig vollgestopft, dass sie ihm wie Wochen vorkamen.
»Meine Wohnung ist gleich hier um die Ecke. Ich möchte
mich kurz duschen, bevor wir fahren. Warten Sie hier? Oder wollen Sie sich auch
ein wenig frisch machen? Meine Disi mag wohlriechende Männer.«
Katharina wohnte in einem Plattenbau mitten in Ra c a d a u.
Es gab keinen Aufzug, der sie in die vierte Etage befördert hätte. Katharina nahm
die Stufen des ärmlich, aber sauber wirkenden Treppenhauses im Sturm. Oben
angekommen suchte sie ausgiebig nach ihrem Schlüssel, ein geschlechtsspezifisches
Ve rhalten von Homo-sapiens-Weibchen. Fand Schreiber.
Die Behausung der Biologin erinnerte an die Wohnung einer
untergetauchten Terroristin. Im Wohn-Schlafraum lag eine Matratze auf der Erde.
Es gab einen mit Styroporkügelchen gefüllten Kunstledersack als Sesselersatz,
daneben balancierte ein Stapel Bücher. Eine aufgebockte Spanplatte diente als
Schreibtisch, darauf ein Stillleben aus Kulis, Kaffeetassen, Kalendern und
Klarsichtfolien. Die Wand schmückte das Foto eines schnauzbärtigen
Fußballtorwarts in grünem Trikot. Sein Sporthöschen, das knapp unter
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