Das Karpaten-Projekt
beiden redeten ein paar Sätze in
dieser merkwürdigen Sprache, ehe Katharina ins Deutsche verfiel. »Das ist
Hannes Schreiber, Disi. Ein Journalist aus Berlin, der etwas über die Bären
schreiben will.«
Die alte Frau wischte sich die Hände an der Kittelschürze
ab. »Ich bin die Sara Orend.« Sie rollte das r genauso heftig wie der
Merresmisch. Hannes gab ihr die Hand und machte seinen Diener. Sara Orend trug
trotz der Hitze ein dunkles Kopftuch, aus dem vorn ein Büschel grauer Locken
hervorstand. Hellwache, dunkle Augen dominierten ihr pausbäckiges Gesicht. Sie
musterte Schreiber von der Glatze bis zu den Wanderschuhen.
»Was ist bloß in die Leute gefahren?«, fragte sie, ohne
eine Antwort zu erwarten. »Plötzlich reden alle vom Bären. Sogar aus Berlin
kommt einer deswegen zu uns ins Burzenland. Wissen Sie, Herr Schreiber, Bären
hat’s hier schon immer gegeben. Manches Mal sind sie bis ins Dorf gekommen.
Dann erzählte man sich morgens: ›Hast du schon gehört, beim Markel hat der Bär
ein Schwein geholt.‹ Und dem Hirten haben sie öfter ein Schaf geschlagen. So
ist das halt hier in den Karpaten.« Sara Orend schüttelte den Kopf. »Na, dann
kommt mal rein. Ich hab Käspalukes für dich gekocht, Treni.«
»Toll, Disi!«
»Sie mögen doch unsern Palukes, Herr Schreiber? Ich hab
heuer ein ganz feines Maismehl. Da schmeckt der Palukes grad zweimal so gut.«
Hannes drückte sich um eine Antwort und ging hinter den
Frauen und den Katzen zur Hoftür hinein. Auf dem Feldsteinpflaster vor dem Haus
pickten ein paar Hühner. Ein pechschwarzer Hund randalierte an der Kette. »Wirst
du wohl still sein, du garstiger Köhler«, fuhr ihn sein Frauchen an. Der Hund
verschwand in seiner Hütte.
»Ich hab dir beim letzten Mal gar nicht meine Schweinchen
gezeigt, Treni. Schau nur, wie die seit dem Frühjahr gewachsen sind.« Die Alte
öffnete eine Stalltür. Die zwei Schweine im Koben hüpften mit den Vorderklauen
gegen den Verschlag. »Sie heißen Stefanie und Stefan. Ich füttere sie den
Sommer über mit Brennnesseln. Das macht ihnen gut.« Gedankenverloren
streichelte sie Stefan den Kopf. »Seit mein lieber Gerdi tot ist, hab ich kein
Großvieh mehr. Mein Mann hatte die besten Büffel im Dorf. Den Büffelrahm, den
vermiss ich wirklich. Ein Löffel Büffelrahm macht jedes Essen besser.«
Sie scheuchte die Katzen aus dem Stall und ging zu einem
Anbau, der an den Gartengiebel des Haupthauses anschloss. »Das ist meine
Sommerküche. Hier koch ich mit Gas. Das Elektrische ist so teuer geworden nach
der Revolution. Setzen Sie sich draußen schon ein wenig an den Tisch, Herr
Schreiber. Das Essen ist gleich so weit. Treni, holst du noch einen Teller für
unseren Gast aus dem Haus? Und bring den Palinka mit, dass wir ihm einen
Schnaps anbieten können.«
Hannes setzte sich auf einen Plastikstuhl mit Chrombeinen.
Den Tisch zierte ein Wachstuch mit vergilbtem Blumenmuster. Ein Sauerkirschbaum
spendete Schatten. Dahinter begann das Kartoffelbeet, in dem ein einzelgängerisches
Huhn scharrte. Vor fünfzig Jahren hatte es hinter Schreibers Elternhaus ähnlich
ausgesehen. Jetzt herrschten dort Rollrasen und Koniferen.
Katharina kam mit dem Teller. Besteck, Schnapsflasche und
Gläser in der Hand lächelte sie Schreiber an. »Schön hier, oder?«
»Sehr.«
Ihre Großmutter setzte die Palukes-Schüssel auf den
Tisch. »Gieß uns einen Palinka ein, Treni. Das macht uns gut vor dem Essen.«
Hannes war sich da nicht so sicher, und als der klare
Schnaps nach dem Anstoßen seine Speiseröhre ätzte, holte er asthmatisch Luft.
»Den brennt mir der Nachbar von meinen Pfläumchen«, sagte
Katharinas Disi stolz. Zum Essen gab es selbst gekelterten Wein, der wie Rosé
aussah, aber nicht so schmeckte. Schreiber ließ sich nichts anmerken und trank
tapfer. Mit Schafskäse schmeckte der Palukes deutlich besser als in Milch. Und
vom eigenen Teller aß es sich auch besser als mit dem Merresmisch aus einer
Schüssel. Zwischendurch fragte die Oma etwas in der Sprache, die Hannes nicht
verstand. Katharina gab eine barsche Antwort.
»Ist das Sächsisch, was Sie da reden?«
Sara Orend strahlte. »Das ist unser Sächsisch. Wir haben
es vor achthundert Jahren von der Mosel mitgebracht. Jetzt, wo die Grenze auf
ist, kommen uns manchmal liebe Leute aus Luxemburg besuchen. Die bringen den
Zigeunern Sachen zum Anziehen. Die Älteren sprechen noch ihr Luxemburger Platt.
Mit denen kann ich mich unterhalten fast wie mit einem
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