Das Karpaten-Projekt
macht auf jeden Fall weiter«, hatte sie
dem Reporter am Abend vor der Abreise gesteckt. Das und der Tod des
Forstamtsleiters machten die Story fürs Magazin doch erst richtig spannend, meinte sie. »Bartelmus hat Sie mir als todesmutigen
Journalisten verkauft. Na ja.«
Er war zu lange unterwegs, im Leben und im Job, um in
diese Testosteronfalle zu tappen. »Bartelmus will mich sehen«, sagte Schreiber.
Gebrauchte Lügen gingen ihm leichter von den Lippen.
Als ihm sein Laptop das Eintreffen einer neuen Mail
meldete, war er gerade auf dem Weg zur Toilette. Neugierig, wie er von Berufs
wegen war, stellte er den Harndrang hintan. Stefan Bartelmus war der Absender
und der Text klang bedrohlich.
Was erzählst du
eigentlich für einen Mist über mich? Die Kandidatin hat mich angerufen und
gefragt, warum ich dich aus Muränien abziehen würde. Das sollst du der Steinkamp
erzählt haben. Ich wusste von nichts und hab rumgedruckst. »Sie haben wohl
Ihren Laden nicht im Griff, Herr Bartelmus«, hat die Frau zu mir gesagt. Nicht
irgendeine Tusse, Hannes, die kommende Kanzlerin. Spinnst du eigentlich, mich
in so eine Situation zu bringen? Morgen nach der Konferenz will ich dich in
Hamburg sehen. Mailen zwecklos. Telefonieren auch. Stefan.
»Scheiße«, zischte Schreiber. Vor lauter Bärengedöns
hatte er vergessen, auf welcher Flughöhe sich die Steinkamp bewegte. Ein Anruf
bei der Kandidatin genügte ihr, um den Magazin -Reporter
strammstehen zu lassen. Glaubte sie wenigstens. Schreiber schnaubte
verächtlich. »Mit mir nicht«, dachte er laut. Er kam aus einer Zeit, in der es
Journalisten noch Spaß gemacht hatte, Autoritäten vors Schienbein zu treten.
Ans Schreiben war er gekommen, um die Welt zu verändern, nicht um VIPs gefällig
zu sein.
Nicht mal ums Geld war es ihm gegangen. Er erinnerte sich
noch gut seiner Überraschung, als sie ihm bei Malibu, dem Stadtblatt, bei dem er gelernt hatte, den ersten
Honorarscheck auf die Kralle gedrückt hatten. Dass er mit seiner Lieblingsbeschäftigung
Geld verdienen konnte, war eine neue Erfahrung für ihn. Gehalt hatte er vorher
als Entschädigung für im Büro verhockte Lebenszeit gesehen.
»Haben sie dich jetzt eingekauft, Hannes?«, fragte er
sich, als er die erste Gehaltsabrechnung des Magazin -Verlages in der Hand hielt. Natürlich war das Leben
angenehmer als die klammen Zeiten davor. Doch sein Innerstes berührte das Geld
nicht. Glaubte er jedenfalls. Schreiber war anfällig für andere Versuchungen,
die die Arbeit beim Magazin mit sich
brachte. Ansehen bei Kollegen, Leserlob, Nominierungen für irgendwelche
Journalistenpreise waren die Wohltaten, die sein Ego streichelten, die ihn oft
selbstgefällig und manchmal arrogant werden ließen. Er wusste um diese Schwäche
und kämpfte mit Dylan dagegen an. Then they’ll kill him with
self-confidence after poisoning him with words. Die Zeile aus Desolation Row, die der Meister für Leute wie ihn geschrieben
hatte. Sie töten ihn mit Selbstbewusstsein,
nachdem sie ihn mit Worten vergifteten.
Schreiber bestellte das Archivmaterial über Hubert
Steinkamp, den Vater der Frau, die meinte, ihm Schwierigkeiten machen zu
können. Mal schauen, was ihr Alter für einer war. Die Unterlagen kamen am
Nachmittag per Fax. Es war überraschend wenig. Das Munzinger -Blatt mit der Vita des Unternehmers, ein paar Artikel aus
Wirtschaftsblättern, das war es. Mediengeil schien der alte Hubertus, so hieß
Steinkamp mit vollem Vornamen, nicht zu sein. Eigentlich fand Schreiber das
sympathisch. Ob es gut für die Recherche war, würde sich weisen. Der Reporter
hatte vor, dem Schuhfritzen unangemeldet auf die Pelle zu rücken. Eines der
Blätter hatte vermeldet, dass Steinkamp kein Vorzimmer habe. »Meine Tür steht
jedem offen«, ließ sich der Unternehmer zitieren. Warum nicht auch ihm?
Seit er nicht mehr in Hamburg wohnte, gefiel Schreiber
die Stadt viel besser. Das lag an den Leuten, mit denen er nichts mehr zu tun
hatte: Hanseaten, die, wenn sie von ihrem ›Club‹ sprachen, nicht den HSV
meinten oder gar den FC St. Pauli, sondern den Hamburger und Germania Ruder Club von 1836. Noch schwerer zu
ertragen fand Schreiber die zugewanderten Möchtegernhanseaten, die sich anstrengten,
ihre Vorbilder an Zurückhaltung und Anglophilie noch zu übertreffen. In den
höheren Rängen des Magazin -Verlages
gab es einige davon. Sie trugen Anzüge in jeder Farbe, solange sie dunkelblau
war, machten auf ›altes Geld‹, auch wenn sie aus einer
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