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Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schmitz
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Den Anblick einer Krawatte würde der
Botschafter entbehren müssen.

    Auf der Autobahn nach Bukarest war ihm Dylans Diplomat im
Kopf herumgespukt. Der Typ aus Like A
Rolling Stone, der auf seiner Schulter eine Siamkatze trug.

    Dem deutschen Geschäftsträger in Bukarest saß kein
Haustier auf der Schulter, er führte nicht mal einen Hund an der Leine. Seine
Exzellenz trugen zur dunkelblauen Hose ein weißes, kurzärmeliges Hemd und
keinen Schlips. Er tänzelte in braunen Loafer unbestrumpft die Treppe herunter
und streckte, schon Meter bevor er bei Schreiber am Empfang angekommen war, den
behaarten Arm aus. Sein Händedruck war zu kräftig für einen Büromenschen, wahrscheinlich
trieb der Diplomat in seiner Freizeit Sport. Rudern, vermutete Hannes.

    »Manfred Becker«, stellte sich der Vertreter der deutschen
Interessen in Rumänien vor und kam Schreiber beim Dienermachen zuvor. Der
Reporter bedankte sich artig dafür, dass der Botschafter sich Zeit für ihn
genommen habe.

    »Einen Magazin -Reporter
haben wir nicht alle Tage hier. Mit ein bisschen mehr Vorlauf hätte ich Sie
gern zum Abend eingeladen. So bin ich wieder mal die ganze Woche mit Empfängen
eingedeckt. ›Häppchen essen für Deutschland‹ nennt meine Frau diese Disziplin.«
Der Botschafter lächelte jungenhaft. Dabei war er nicht viel jünger als
Schreiber.

    Kluger Kerl, dachte Hannes bei sich, will es sich auf
keinen Fall mit den Medien verderben. Irgendetwas an Becker erinnerte Hannes an
seinen Chefredakteur, obwohl sich die beiden äußerlich wenig ähnelten. Der
Botschafter hatte ein eher breites Gesicht mit kräftigen Wangenknochen und
dunkles, glattes Haar, das ihm ganz unzeremoniell ins Gesicht fiel und von
seiner Sportlerpratze hin und wieder herausgeschaufelt werden musste. Für einen
Karrierediplomaten benahm er sich ziemlich locker. Vielleicht hatte Schreiber
auch nur falsche Vorstellungen von den Jungs aus dem Auswärtigen Amt. In Berlin
lief er ihnen selten über den Weg.

    »Wenn es Ihnen recht ist, machen wir einen Spaziergang
durch den Park«, sagte Becker. »Da ist es viel schöner als in meinem Büro, wo
ich nur die Wahl habe zwischen Affenhitze und Gefrierschrank. Ein Mittelding
kennt die A/C nicht.«

    Gemeinsam kreuzten sie den Boulevard, auf dem Schreiber
gekommen war, und ergingen sich im Parcul
Kiseleff, einer mit Schatten spendenden Bäumen gesprenkelten weiten
Rasenfläche. Früher hatten Westdiplomaten im Ostblock solche Spaziergänge aus
Angst vor Wanzen in der Botschaft unternommen, und Ostdiplomaten im Westen wohl
auch. Dass der Kalte Krieg vorbei war, schien nichts daran geändert zu haben.
Wahrscheinlich spionierten sich die Geheimdienste immer noch aus. Vielleicht
hatte sich der Spaziergang auch zum festen Bestandteil des Verhaltensrepertoires
im auswärtigen Dienst entwickelt, so wie Hannes’ Hund, noch Jahre nachdem er
dort einen Rollbraten geklaut hatte, die Terrasse des Nachbarn regelmäßig
inspizierte.

    »Was kann ich für Sie tun, Herr Schreiber?«, fragte der
Botschafter freundlich. »Meine Leute haben mir gesagt, es gehe um einen
Mordfall, in den eine Deutsche verwickelt sei.«

    »Verwickelt wohl nicht, nur verhaftet, Herr Botschafter.«

    »Hört sich spannend an.«

    »Ist es auch.« Schreiber hatte sich vorher überlegt, wie
weit er den Diplomaten in die Geschichte einweihen sollte, ob er etwa sein
nächtliches Abenteuer mit Teddy am Tatort erwähnen sollte oder nicht. Am Ende
hatte er sich entschieden, mit offenen Karten zu spielen. Wenn er etwas für
Katharina tun sollte, musste der Botschafter wissen, in welchem Film er war.
Und zwar von Anfang an. Falls er die Story vom Bärenflüsterer und seinem
mysteriösen deutschen Begleiter später von den Rumänen gesteckt bekäme, machte
sich das nicht gut. Also berichtete Schreiber, während sie im Park lustwandelten
wie Müßiggänger, die ganze Geschichte. Beim Erzählen staunte Hannes, wie viel
in den letzten vierzehn Tagen passiert war. Dabei hatte er seine Chefvisite und
den bunten Abend beim alten Steinkamp nicht mal erwähnt.

    Der Botschafter unterbrach Schreibers Schilderungen
nicht, und auch als er am Ende war, schwieg Becker noch eine Weile. »Ein
ziemlich vermintes Gelände, in das Sie mich da schicken wollen«, sagte er
schließlich und sah den Reporter dabei von der Seite an wie jemanden, der ihm
empfohlen hatte, beim nächsten Neujahrsempfang des rumänischen
Staatspräsidenten zur Abwechslung einmal in Frauenkleidern zu

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