Das Karpaten-Projekt
Abendwind. »Sie waren genauso am Tatort wie Teddy.«
Hannes hatte sich diese Frage in den letzten Tagen oft gestellt
und kannte seine Antwort gut. »Ohne Sebastian Sellemerten wäre das völlig
sinnlos. Wahrscheinlich sperrten sie mich genauso weg wie Katharina.«
»Oh, man ist bereits per Du?«
»Eigentlich geht Sie das nichts an, Frau Steinkamp, aber
ich erzähl es Ihnen trotzdem. Es ist das Hamburger Du. Man redet sich dort gern
mit Vornamen und Sie an. Das ist sehr hanseatisch und ein bisschen albern, aber
ich mache es auch manchmal, bei jungen Leuten.«
»Bei mir nicht. Wahrscheinlich bin ich nicht mehr jung
genug. Wie alt ist denn Ihre Biologin?«
»Nun langt’s, Frau Steinkamp.« Schreibers Blick nagelte
die Frau an die Stalltür. Diesem Prinzesschen von Gelsenkirchen-Buer war von
klein auf der Hintern hinterhergetragen worden, wenn nicht gerade jemand damit
beschäftigt war, Zucker in denselben zu blasen. Sie hatte vieles, von dem
andere Menschen träumten. Geld ohne Ende, einen halben Betrieb und eine ganze
Kollektion. Einen Stall voll Pferde und eine Hütte in den Bergen. Aber es
reichte ihr nicht. Sie wollte den ganzen Betrieb und ein anderes Firmenimage
dazu. Sie wollte auf Naturschutz machen wie Leonardo di Caprio und
Umweltministerin werden, wie die Kandidatin es gewesen war. Hannes hätte es
nicht gewundert, wenn sie heimlich auch die Kanzlerschaft anstrebte.
»Sagen Sie mir, wo ich Teddy finde. Ich muss mit ihm
reden. Wenn er zur Polizei geht, komme ich mit.«
Die Steinkamp erwiderte seinen Blick. Sie lächelte
bitter. »Finden Sie ihn doch selbst! Für einen Reporter Ihrer Klasse ist das
doch ein Klacks.«
Hannes drehte sich grußlos um und marschierte zu seinem
Corsa. Die Almen von Ma gura
ve rschwanden im Dunkel, das aus den Tälern kroch. In der Ferne bellte
ein Hund gegen die Stille an. Nach ein paar Kläffern sah er ein, dass es
sinnlos war. Hannes bedauerte, den Motor anwerfen zu müssen. Aber er wollte weg
aus Ma gura. Kein Paradies
ohne Schlange, sagte er sich un d fuhr los.
Weit kam er nicht. Schon in den Spitzkehren, die in die
Schlucht Richtung Za rnesti
führten, sah er die Scheinwerfer eines anderen Autos hinter ihm in den Wald
strahlen. Der Mensch hinter dem Steuer drückte aufs Tempo, und auf dem
Talgrund, wo d ie Straße noch schlechter wurde und Schreiber langsamer,
holte das fremde Auto ihn ein. Das Fernlicht des Verfolgers blendete auf.
Hannes kniff die Augenlider zu Schlitzen. Der Rückspiegel blendete ihn dennoch.
Nach ein paar Hundert Metern hatte er genug. Er fuhr rechts ran, um den
Verrückten vorbeizulassen. Ein dunkler, alter Dacia Pick-up mit Brasover Kennzeichen
klemmte sich in die Lücke vor Schreibers Opel und einem Felsbrocken, den
Steinbrucharbeiter wer weiß wann liegen gelassen hatten.
Der Motor des Dacia erstarb. Ein Mann stieg aus. Im Licht
der Scheinwerfer erkannte Schreiber den Merresmisch. Er brachte den Corsa zur
Ruhe und stieg auch aus. »Sie hätten Rallyefahrer werden sollen.«
»So fährt jeder in Rumänien.«
»Stimmt. Der Trip von Bukarest nach Brasov ist ein Albtraum
für einen Mitteleuropäer.«
In der Schlucht war es so dunkel, dass Hannes das Gesicht
des steinkampschen Faktotums nicht lesen konnte. Der kleine Mann stand mit dem
Rücken zu den Kalkfelsen des Steinbruchs. Seine Silhouette zeichnete sich vor
dem Hintergrund scharf ab. Auf dem Kopf balancierte ein Tirolerhut, dessen
Krempe das Gesicht noch mehr verschattete. Schreiber wartete darauf, was der
Merresmisch ihm Wichtiges mitzuteilen hatte. Wegen einer Mondscheinplauderei
über den Fahrstil der Völker war er nicht den Berg heruntergerast. Der Reporter
steckte sich eine Zigarette an, um die Zeit zu überbrücken. Rumänische
Marlboros schmeckten rauer als deutsche.
»Sie haben mit meinem Chef gesprochen«, begann Merres
endlich.
Schreiber sagte: »Danke für den Tipp.«
»Dann wissen Sie ja, was hier los ist.«
»Mehr oder weniger.«
»Sie suchen diesen Sellemerten.«
Hannes brummte zustimmend. Zur Not konnte auch er den
Schweiger geben.
»Dann fahren Sie hinter mir her.« Der Merresmisch drehte
sich um, ging zum Wagen, stieg ein und startete mit durchdrehenden Reifen.
Steinchen flogen gegen die Motorhaube des Opels. Das würde Ärger mit der
Autovermietung geben, doch Schreiber hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu
machen. Er hatte genug damit zu tun, die Rücklichter des Dacias nicht zu
verlieren, während sie über die Schlaglöcher von Za
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