Das Karpaten-Projekt
Mann, der Ihre geliebten
Bären erlegen lässt.«
Schreiber war kurz vorher das Psychogramm eines verrückten
Vogelschützers in die Finger gefallen. Der Kerl hatte einen Jäger mit
sechsunddreißig Messerstichen massakriert. Es gab eine Menge Möglichkeiten,
Tierliebe und Menschenhass unter einen Hut zu bringen. Mord war eine davon.
»Wo hatten Sie die Waffe versteckt?«, herrschte er
Sellemerten an. »In der Speisekammer des Camps? In einer der verbuddelten
Metallboxen?«
»Ich hab keine Waffe und ich hab auch niemanden erschossen!
Wie oft soll ich Ihnen das noch sagen?«
»Zweimal reicht. Das dritte Mal sparen Sie sich für die
Polizei. Wir beide fahren da jetzt nämlich hin und machen unsere Aussage. Sie
werden es noch nicht wissen, Teddybär: Die Polizei hat jemand anderen
festgenommen. Eine deutsche Biologin, die sich um die Müllbären in Brasov
kümmert. Deshalb hatte sie Krach mit dem Forstamtsleiter. Die Bullen denken,
die Frau steckt mit Ihnen unter einer Decke. Das werden Sie denen ausreden,
Sellemerten.«
Hannes stand auf und ging einen Schritt auf den Bärenflüsterer
zu. Der wich zurück und griff in seine Jackentasche. Er zog eine schwarze
Sprayflasche heraus, hielt sie in Schreibers Richtung und krümmte den
Zeigefinger auf dem Knopf. Ein bisschen mehr Druck, und die chemische Keule
schlüge wieder zu.
»Steck das Ding weg, Sellemerten«, sagte Hannes so ruhig
wie möglich. »Beim zweiten Mal wirkt das Zeug nicht mehr.« Er wusste genau,
dass das nicht stimmte. Die Bärin, die ihn angegriffen hatte, war von
Katharinas zweitem Pfefferstoß ebenso beeindruckt gewesen wie vom ersten. Aber
was blieb ihm anderes als pokern? Er machte einen weiteren Schritt auf den Mann
mit der Sprühdose zu – und kassierte seine zweite Dosis Capsaicin. Sie wirkte tatsächlich
genauso gut wie die erste.
25
Es ging um das Kätzchen. Katharina hatte es unterm Pullover in
die Zelle geschmuggelt. Auf dem Gefängnishof gab es eine Menge Katzen. Sie
kamen freiwillig in den Knast, weil das Leben dort besser war als draußen − für
eine Straßenkatze. Die Frauen fütterten sie mit Essensresten, und irgendeine
Mieze hatte immer Junge. Sie spielten auf dem Hof und im Labyrinth der
Gefängnisgänge. Nur in die Zellen durften sie nicht.
Katharina hielt ihr Kätzchen verborgen. Es schlief unter
ihrer Bettdecke und blieb tagsüber, wenn die Frauen zur Arbeit gebracht wurden,
in der Zelle zurück. Abends fütterte Treni den kleinen Kater mit Happen aus der
Gefängnisküche. Während die anderen fernsahen, fiel das nicht auf.
Nur Floria ließ sich nicht täuschen. Sie hatte den Karton
mit den Papierschnipseln, der als Katzenklo diente, entdeckt. Die Alte erfuhr
alles, was in der Zelle geschah. Sie las den Frauen die Zukunft aus der Hand
und kassierte dafür ein paar Lei, die sie in einem Beutelchen zwischen den
Brüsten aufbewahrte. Floria war die graue Eminenz der Zelle vier,
einflussreicher als die Zellenälteste. Sie mochte keine Katzen.
Als Floria Katharinas Katerchen das erste Mal sah, sagte
sie nichts. Sie schaute die Sächsin nur an wie die anderen Frauen, die es
wagten, sich ihrem Willen zu widersetzen. Floria Titulescu hatte den bösen
Blick. So ging die Mär im Frauengefängnis von Targsor. Krankheiten könne sie
heraufbeschwören und Kinder verhexen. Wen das nicht einschüchterte, den mobbte
die Matrone. Mit den Wärterinnen stand sie auf gutem Fuß. Floria stammte aus
einer Sippe von Roma, die beim Bakschisch nicht knauserten. Ein Wink von ihr,
und die widerspenstige Gefangene durfte statt an der frischen Luft zu arbeiten
im Knast Latrinen putzen. Katharina ignorierte Florias Blick.
Am nächsten Abend, als sie müde von der Feldarbeit in die
Zelle kam, lag das Kätzchen mit durchschnittener Kehle auf ihrem Bett. Das Blut
war auf ihr Laken gelaufen und eingetrocknet. Katharina stand auf der Leiter
ihres Etagenbettes und schluckte. Tränen kamen ihr nicht. Die hatte sie in den
Knastnächten verweint. Wut war ihr geblieben. Wut auf die Menschen, die ihr das
alles antaten. Wut auf das Land, in dem so etwas möglich war.
Sie schnappte die tote Katze bei den Hinterpfoten, lief
damit durch die Gänge zum Bett der dicken Floria. Die Frauen, die im Wege
standen, wichen vor ihr zurück. Eine, mit der sie sich bei der Arbeit ein wenig
angefreundet hatte, versuchte, sie zurückzuhalten. Katharina riss sich los und
ging weiter. Es war still in der Zelle. Allein ihre Schritte knirschten auf dem
Boden. Treni
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