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Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schmitz
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rnesti flogen. Merres nahm die Straße nach Rosenau, bog
dort aber nicht Richtung Brasov ab. Er folgte der Passstraße nach Predeal,
einer einsamen Strecke, die sich zwischen dem Bucegi und dem Brasover Hausberg
namens Schuler durchquälte. Der Mann gab tüchtig Gas. Schreiber folgte gut
hundert Meter hinter ihm. Er war froh über den Abstand, als der Merresmisch auf
gerader Strecke heftig auf die Bremse trat. Im Näherkommen sah Hannes einen
Bären auf der Fahrbahn stehen. Seine Netzhaut reflektierte das
Scheinwerferlicht. Der Petz hatte keine Eile, den Autos Platz zu machen. Dies
war sein Wald. Seine Sippe hatte hier schon gehaust, als es noch keine
Asphaltstraße gab und keine stinkenden Autos. Es schien ein älteres Männchen zu
sein, das bewegungslos auf der Piste stand und glotzte. Ein pelziger Höcker
überragte seine Schultern wie der Buckel des Glöckners von Notre Dame. Erst als
Merres’ Dacia hupend auf ihn zurollte, trollte sich der Bär in schlackerndem
Trab. Am Fahrbahnrand verharrte er kurz. Dann hatte der Wald ihn verschluckt.

    Bei Predeal trafen sie auf die Hauptstraße. Der
Merresmisch steuerte nach Süden, auf die Touristenorte im Prahovatal zu. Am
Nachmittag, auf dem Rückweg aus Bukarest, hatte sich Schreiber in Schlangen
durch die Städtchen unter dem Bucegi geschoben. Jetzt lagen die Straßen
ausgestorben im gelben Licht der Laternen. Imbissbuden und Spielhallen säumten
die Strecke. Zwischen den Orten lagen Parkplätze mit Bretterbuden wie auf
deutschen Weihnachtsmärkten. Tagsüber hielten Händler hier Folklorekitsch zu
Fantasiepreisen feil. Zur Nacht hatten sie ihre Hütten verrammelt. Ein paar
Straßenhunde schlichen auf der Suche nach Abfällen dazwischen herum.

    Sie hatten den Distrikt Brasov längst verlassen, als
Merres von der Überlandstraße nach Osten abbog. Die Straße wurde schlechter,
und nachdem sie zwei Dörfer durchfahren hatten, ging sie in einen Feldweg über.
Der grüne Pick-up stoppte am Ufer eines Baches. Sein Fahrer stieg aus.

    »Wir lassen die Wagen besser hier«, sagte der Merresmisch
und ging, ohne auf Schreiber zu warten, voraus. Der Weg folgte dem Bach, den
Hannes zu seiner Rechten rauschen hörte. Nach einem Kilometer blieb Merres
stehen. Er zeigte auf einen Pfad, der von links auf den Bach stieß.

    »Gehen Sie da rauf. Da steht eine verlassene stina. Da haust er drin.«

    »Erklären Sie mir, was eine stina ist?«

    »Eine Schäferei.«

    »Wie weit ist es ungefähr?«

    Merres überlegte einen Moment. »Zwei Kilometer.«

    »Wie haben Sie eigentlich rausgekriegt, wo Teddy jetzt
steckt?«

    »Ich bin Diana gefolgt.« Der Merresmisch nahm den Weg
zurück zu den Autos, ein paar Augenblicke später lösten sich seine Konturen in
der Dunkelheit auf.

    Hannes hatte seine Kopflampe aus dem Wagen mitgenommen.
Er knipste sie an und sah auf die Uhr. Kurz nach elf. Vielleicht nicht die
beste Zeit für einen Besuch beim Bärenflüsterer, aber er konnte es sich nicht
aussuchen. Tagsüber war Teddy bestimmt auf Achse. Er stapfte durch ein Altholz
steil bergan. Es war nicht einfach, den Pfad zu halten, der sich oft verzweigte
und wieder zusammenlief. Schreiber verließ sich auf sein Gefühl. Er vermutete
die Schäferei auf einer Alm oberhalb des Waldes und kraxelte stur bergauf.
Seine Sorge wegen der Bären redete er sich aus. Das Licht auf seiner Stirn
würde die Petze vertreiben, hoffte er und hustete dann und wann, um auch akustisch
ortbar zu sein. Der Wald wurde dichter. Möglicherweise näherte er sich dem
Saum. Wo mehr Licht einfiel, wuchs das Unterholz besser. Der Pfad schlängelte
sich schulterbreit hindurch. Hannes blieb stehen und horchte in die Dunkelheit.
Alles schien still. Trotzdem räusperte er sich ausgiebig, bevor er weiterging.
Er war erleichtert, als er endlich an der Waldkante stand.

    Vor ihm lag eine Alm, die scheinbar seit Jahren nicht
mehr beweidet wurde. Büsche wuchsen aus dem Gras. Jungfichten standen in
Horsten beieinander. Schreibers Augen hatten sich an die Nacht gewöhnt, sie
suchten die Fläche nach der Schäferhütte ab und fanden einen schwarzen Klumpen
am oberen Ende der Alm. Es brannte kein Licht dort. Sellemerten war entweder
vorsichtig oder eingeschlafen. Oder gar nicht da.

    Hannes ging auf den Klumpen zu. Im Näherkommen erkannte
er eine aus ganzen Stämmen gezimmerte Blockhütte. Zwei kleine Fenster an der
Vorderseite und eine Tür, zu der eine Treppe hinaufführte. Ihre Bretter
knarrten unter Schreibers Schritten. Er wollte

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