Das Karpaten-Projekt
Sie hatte Bärenattacken überstanden und
Sitzungen überlebt. Am Ende aber hatten ihre Widersacher gesiegt. Statt im Wald
Bären zu fangen, saß sie selbst in diesem Käfig und versuchte, nicht verrückt
zu werden.
Nachts lag sie oft wach und horchte auf jedes Geräusch.
Knarrte da nicht ein Bett, wie wenn jemand aufstünde? Tappten dort nicht
Schritte, als ob eine Frau auf sie zuschliche? Meist hörte sie danach die
Klospülung und entspannte sich wieder. In dieser Nacht wollte ihr das nicht
gelingen. Vielleicht lag es am Wetter. Seit Tagen brauten sich nachmittags
dunkle Wolken über der Ebene zusammen. In der Ferne grummelten Gewitter, aber
in Targsor ging keines nieder. Nicht einmal der Wind rührte sich. Die Luft
stand zäh wie Palukes. Selbst wenn sie sich nicht bewegte, brach Katharina der
Schweiß aus. Sie hätte etwas dafür gegeben, einmal duschen zu dürfen. Oder im
Wasser der Burzen zu planschen, wie früher bei der Disi.
Katharina verdrängte die Erinnerung an ihre Kindheit. Erinnerungen
machten sie traurig. Sie hatte auch aufgehört, sich Gedanken über ihre Zukunft
zu machen. Die Zukunft war bis auf Weiteres beendet. Was allein zählte, waren
die Tage in Targsor, die sie überstehen musste. Sie waren lang genug. Und die
Nächte erst! Noch immer drang kein Morgenlicht über die Mauer. Katharina wälzte
sich auf die Seite. Mit dem Gesicht zum Gang starrte sie vor sich hin.
Merkwürdig, wie gut sich die Augen auf die Dunkelheit einstellen konnten. Sie
sah den Gang und die Frauen in den Etagenbetten gegenüber fast wie am Tag. Die
Frau, die dazwischen heranschlich, erkannte sie sogar: Floria.
Schritt für Schritt näherte sich die Alte. Hätte
Katharina sich mit dem Gesicht zur Wand gedreht gehabt, sie hätte nichts
gehört. Sie zog die Beine an. Zentimeter für Zentimeter beugte sie die Knie.
Dann stützte sie den Oberkörper auf den rechten Ellenbogen und richtete sich
etwas auf. Ihre Armmuskeln zitterten vor Anstrengung. Oder vor Angst.
Zwei Meter vor Katharinas Bett griff Floria in ihren Pyjama.
Als die Hand wieder auftauchte, hielt sie ein Messer. Katharina dachte an ihr
Kätzchen. Sie spannte alle Muskeln an. Fiebrig pulste das Blut in ihren Ohren.
Sie ließ die Alte näher kommen, einen Schritt, und noch einen. Einen halben
Meter vor dem Bett hob Floria die Hand mit dem Dolch. Ein Schritt noch, und sie
stöße zu.
Katharina wollte diesen Schritt abwarten. Sie schaffte es
nicht. Sie explodierte zu früh. Statt am Kopf trafen ihre Füße die Alte am Arm.
Sie stolperte nach vorn, aber sie fiel nicht. Floria dreht sich um und stach
zu. Katharina fühlte den Schmerz. Schrie nicht. Sie packte zu. Ihre Faust umklammerte
das Handgelenk der Zigeunerin. Das Messer stand still zwischen den Körpern der
beiden Frauen, zitterte nur unter dem Druck der Arme. Für eine alte Frau war
Floria verdammt stark. Sie spuckte Katharina ins Gesicht. Der Rotz traf ihr
rechtes Auge. Sie kniff es zu. Dann trat sie wieder. Ihr Fuß prallte gegen
Florias Bauch, nahm der Alten für einen Augenblick die Luft. Katharina drückte
nicht mehr gegen den Arm mit dem Messer. Sie riss ihn herunter. Hart schlug das
Handgelenk auf das Bettgestell. Floria schrie auf und ließ das Messer fallen.
Katharina sprang aus dem Bett.
Sie standen sich gegenüber. Katharina fühlte den Messerknauf
an ihrem nackten Fuß. Sie trat darauf. Hinter Floria tauchten andere Frauen
auf. Sie drängten in den Gang, um der Zigeunerin beizustehen. Schritt für
Schritt kamen sie heran.
Ohne den Kopf zu senken, bückte sich Katharina.
Blitzschnell riss sie den Dolch nach oben. Sie spürte den Widerstand. Der
Pyjama der Alten war vor dem Bauch zerschnitten. Aus einer Speckfalte rann
Blut. Floria schrie, aber sie fiel nicht. Sie griff auch nicht an. Sie stand da
wie ein Baumstamm und schrie. Wie lange, wusste Katharina nicht. Sie hielt das
Messer in der Hand, bereit, auf jede einzustechen, die ihr zu nahe kam.
Das Deckenlicht flammte auf. Die Zellentür kreischte. Die
Wärterin mit der Melone stürmte herein. Die Gefangenen wichen vor ihr zurück. »Was
ist hier los?«, brüllte sie. Niemand antwortete. Der Kugelblitz stob von Gang
zu Gang, fuchtelte mit einer Taschenlampe herum. Endlich stand sie vor
Katharinas Bett.
»Messer fallen lassen, Orend!«, schrie sie.
Katharina warf die Waffe hinter sich.
»Sind Sie verletzt, Floria?«
Die Zigeunerin erwachte aus ihrer Starre. Sie begann zu
jammern. »Die Sächsin hat mir in den Bauch gestochen.
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