Das Karpatenschloß
denen er den Gebrauch von Stahlfedern
streng untersagt hatte; da hätte man ihn sehen sollen, wie er
den Schnabel der Gänsekiele mit dem alten wohlgeschliffe-
nen Federmesser formte, und mit welcher Sicherheit er mit
den Augen blinzelnd die Feder spaltete. Vor allem legte er
Wert auf eine gute Handschrift. Dahin zielten seine erns-
ten Bemühungen, und deren Erlangung konnte den Zög-
lingen eines so sorgsamen Schulmeisters nicht fehlen. Der
sonstige Unterricht kam erst in zweiter Linie – wir wissen
ja schon, was Magister Hermod lehrte, und was die Gene-
ration von Knaben und Mädchen auf seinen Schulbänken
lernen konnte.
Jetzt zu dem Arzt Patak.
Wie – so hör’ ich den Leser rufen – in Werst befand sich
ein Arzt, und doch huldigte das ganze Dorf dem Glauben an
übernatürliche Dinge?
Ja; doch man muß eben verstehen, welche Bewandtnis es
mit dem Arzttitel Pataks – ganz wie mit dem, den der Rich-
ter Koltz sich zulegte – hatte.
Patak, ein kleiner Mann, mit einem Schmerbäuchlein,
übrigens stark und kurz und 45 Jahre alt, betrieb in flei-
ßigster Weise die Heilkunst, wie sie in Werst und Umgebung
eben üblich war. Mit seiner unerschütterlichen Ruhe und
betäubenden Redseligkeit flößte er nicht weniger Vertrauen
ein als der Schäfer Frik – und das will viel sagen. Er ver-
kaufte gute Ratschläge und Arzneien, letztere aber immer
von so unschuldiger Natur, daß sie die kleinen Leiden sei-
ner Kunden niemals verschlimmern konnten und letztere,
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wie es ja meist der Fall ist, von selbst wieder gesund wurden.
Übrigens ging es einem auf dem Bergrücken des Vulcan be-
sonders gut; die Luft ist hier von »erster Güte«; epidemi-
sche Krankheiten sind unbekannt, und wenn einer stirbt,
so geschieht das, weil man nun einmal sterben muß, selbst
in diesem bevorzugten Winkel Transsilvaniens. Was den
»Doktor« Patak – ja, man nennt ihn wirklich »Doktor« –
angeht, so fehlte ihm, obwohl man sich ihm hier gern anver-
traute, doch jede Fachbildung, in der Heilkunde, der Arz-
neiwissenschaft, überhaupt in allem. Er war weiter nichts
als ein früherer Krankenpfleger der Quarantäne, dessen
Aufgabe darin bestand, die Reisenden zu beobachten, die
zur Erlangung eines Gesundheitspasses an der Grenze eine
Zeitlang zurückgehalten wurden – weiter nichts. Das schien
der anspruchslosen Bevölkerung von Werst vollkommen
zu genügen. Wir müssen noch hinzufügen, daß Doktor Pa-
tak – wie sich das eigentlich von selbst versteht – ein starker
Geist, um nicht zu sagen Freigeist war, und etwas derartiges
muß ja wohl jeder sein, der sich der Fürsorge und Pflege
seinesgleichen widmet. Er leugnete auch all die abergläu-
bischen Geschichten, die man sich im Land der Karpaten
erzählte, sogar die, die sich auf die Burg bezogen. Er lachte,
er scherzte einfach darüber, und sagte man ihm, daß seit
langer, langer Zeit niemand gewagt habe, sich dem Schloß
zu nähern, so antwortete er jedem, der es hören wollte: »Mir
könnt Ihr ruhig zutrauen, daß ich sofort bereit wäre, dem
alten Ritternest einen Besuch abzustatten.«
Da man es ihm zutraute und sich jeder hütete, ihm zu
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widersprechen, hatte Doktor Patak allerdings noch keine
Gelegenheit gefunden, seine Behauptung zu beweisen, und
bei der herrschenden Leichtgläubigkeit blieb das Karpaten-
schloß nach wie vor in den undurchdringlichen Schleier des
Geheimnisses gehüllt.
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In wenigen Minuten hatte sich die vom Schäfer verkündete
Neuigkeit im ganzen Dorf verbreitet. Meister Koltz, der das
kostbare Fernrohr in der Hand trug, war eben in sein Haus
zurückgekehrt und ihm folgten Nic Deck und Miriota. Jetzt
befanden sich auf der Terrasse Frik und etwa 20 Personen,
Männer, Frauen, Kinder, denen sich einige Zigeuner ange-
schlossen hatten, die sich nicht weniger erregt zeigten, als
die übrigen Bewohner des Dorfs. Die Leute umringten Frik,
bestürmten ihn mit allerlei Fragen, und der Schäfer antwor-
tete darauf mit der stolzen Herablassung eines Mannes, der
Augenzeuge eines ganz außerordentlichen Ereignisses ge-
wesen ist.
»Ja, ja«, wiederholte er, »die Burg raucht, raucht noch
und wird weiter rauchen, so lange davon noch ein Stein auf
dem andern steht.«
»Wer kann das Feuer aber angezündet haben?« fragte
eine alte Frau, die Hände zusammenschlagend.
»Der Chort«, versicherte Frik, der dem Teufel den hier
üblichen Namen gab; »der Böse versteht sich ja
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