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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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denen er den Gebrauch von Stahlfedern
    streng untersagt hatte; da hätte man ihn sehen sollen, wie er
    den Schnabel der Gänsekiele mit dem alten wohlgeschliffe-
    nen Federmesser formte, und mit welcher Sicherheit er mit
    den Augen blinzelnd die Feder spaltete. Vor allem legte er
    Wert auf eine gute Handschrift. Dahin zielten seine erns-
    ten Bemühungen, und deren Erlangung konnte den Zög-
    lingen eines so sorgsamen Schulmeisters nicht fehlen. Der
    sonstige Unterricht kam erst in zweiter Linie – wir wissen
    ja schon, was Magister Hermod lehrte, und was die Gene-
    ration von Knaben und Mädchen auf seinen Schulbänken
    lernen konnte.
    Jetzt zu dem Arzt Patak.
    Wie – so hör’ ich den Leser rufen – in Werst befand sich
    ein Arzt, und doch huldigte das ganze Dorf dem Glauben an
    übernatürliche Dinge?
    Ja; doch man muß eben verstehen, welche Bewandtnis es
    mit dem Arzttitel Pataks – ganz wie mit dem, den der Rich-
    ter Koltz sich zulegte – hatte.
    Patak, ein kleiner Mann, mit einem Schmerbäuchlein,
    übrigens stark und kurz und 45 Jahre alt, betrieb in flei-
    ßigster Weise die Heilkunst, wie sie in Werst und Umgebung
    eben üblich war. Mit seiner unerschütterlichen Ruhe und
    betäubenden Redseligkeit flößte er nicht weniger Vertrauen
    ein als der Schäfer Frik – und das will viel sagen. Er ver-
    kaufte gute Ratschläge und Arzneien, letztere aber immer
    von so unschuldiger Natur, daß sie die kleinen Leiden sei-
    ner Kunden niemals verschlimmern konnten und letztere,
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    wie es ja meist der Fall ist, von selbst wieder gesund wurden.
    Übrigens ging es einem auf dem Bergrücken des Vulcan be-
    sonders gut; die Luft ist hier von »erster Güte«; epidemi-
    sche Krankheiten sind unbekannt, und wenn einer stirbt,
    so geschieht das, weil man nun einmal sterben muß, selbst
    in diesem bevorzugten Winkel Transsilvaniens. Was den
    »Doktor« Patak – ja, man nennt ihn wirklich »Doktor« –
    angeht, so fehlte ihm, obwohl man sich ihm hier gern anver-
    traute, doch jede Fachbildung, in der Heilkunde, der Arz-
    neiwissenschaft, überhaupt in allem. Er war weiter nichts
    als ein früherer Krankenpfleger der Quarantäne, dessen
    Aufgabe darin bestand, die Reisenden zu beobachten, die
    zur Erlangung eines Gesundheitspasses an der Grenze eine
    Zeitlang zurückgehalten wurden – weiter nichts. Das schien
    der anspruchslosen Bevölkerung von Werst vollkommen
    zu genügen. Wir müssen noch hinzufügen, daß Doktor Pa-
    tak – wie sich das eigentlich von selbst versteht – ein starker
    Geist, um nicht zu sagen Freigeist war, und etwas derartiges
    muß ja wohl jeder sein, der sich der Fürsorge und Pflege
    seinesgleichen widmet. Er leugnete auch all die abergläu-
    bischen Geschichten, die man sich im Land der Karpaten
    erzählte, sogar die, die sich auf die Burg bezogen. Er lachte,
    er scherzte einfach darüber, und sagte man ihm, daß seit
    langer, langer Zeit niemand gewagt habe, sich dem Schloß
    zu nähern, so antwortete er jedem, der es hören wollte: »Mir
    könnt Ihr ruhig zutrauen, daß ich sofort bereit wäre, dem
    alten Ritternest einen Besuch abzustatten.«
    Da man es ihm zutraute und sich jeder hütete, ihm zu
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    widersprechen, hatte Doktor Patak allerdings noch keine
    Gelegenheit gefunden, seine Behauptung zu beweisen, und
    bei der herrschenden Leichtgläubigkeit blieb das Karpaten-
    schloß nach wie vor in den undurchdringlichen Schleier des
    Geheimnisses gehüllt.
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    In wenigen Minuten hatte sich die vom Schäfer verkündete
    Neuigkeit im ganzen Dorf verbreitet. Meister Koltz, der das
    kostbare Fernrohr in der Hand trug, war eben in sein Haus
    zurückgekehrt und ihm folgten Nic Deck und Miriota. Jetzt
    befanden sich auf der Terrasse Frik und etwa 20 Personen,
    Männer, Frauen, Kinder, denen sich einige Zigeuner ange-
    schlossen hatten, die sich nicht weniger erregt zeigten, als
    die übrigen Bewohner des Dorfs. Die Leute umringten Frik,
    bestürmten ihn mit allerlei Fragen, und der Schäfer antwor-
    tete darauf mit der stolzen Herablassung eines Mannes, der
    Augenzeuge eines ganz außerordentlichen Ereignisses ge-
    wesen ist.
    »Ja, ja«, wiederholte er, »die Burg raucht, raucht noch
    und wird weiter rauchen, so lange davon noch ein Stein auf
    dem andern steht.«
    »Wer kann das Feuer aber angezündet haben?« fragte
    eine alte Frau, die Hände zusammenschlagend.
    »Der Chort«, versicherte Frik, der dem Teufel den hier
    üblichen Namen gab; »der Böse versteht sich ja

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