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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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rotabgestickten Leibwäsche, der
    doppelten, rot und blau gestreiften, an der Taille befestigten
    Schürze, den niedlichen gelbledernen Stiefeln, dem leich-
    ten, geschickt geordneten Kopftuch, und den langen, dicken
    Zöpfen, deren Geflecht mit einem roten Band und einzel-
    nen Metallflittern verziert war.
    Ja, sie galt nicht zu Unrecht für ein schönes Mädchen, die
    Miriota Koltz, noch dazu, da sie – gewiß kein Fehler – für
    dieses im Grunde der Karpaten verlorene Dorf obendrein
    noch reich zu nennen war. Wirtschaftlich mußte sie ja wohl
    auch sein, da sie das Hauswesen ihres Vaters schon längere
    Zeit tadellos führte. Gebildet? Oh, in der Schule des Magis-
    ter Hermod hatte sie lesen, schreiben und rechnen gelernt,
    und sie rechnet, schreibt und liest ohne Fehler; weiter ist
    sie allerdings nicht gekommen – wozu auch? Dagegen ist
    sie vertraut mit den Fabeln und Sagen Transsilvaniens, von
    denen sie ebenso viel zu erzählen weiß, wie ihre Lehrer. Sie
    kennt die Legende von Leany-Kö, dem Felsen der Jungfrau,
    wo eine junge, etwas phantastische Fürstentochter sich den
    Nachstellungen der Tataren zu entziehen wußte; die Sage
    der Drachengrotte im Tal der »Königsstufe«; die von der
    Festung Deva, die »zur Zeit der Feen« erbaut wurde; die Le-
    gende der Detunata, der »Blitzgetroffenen«, jenes berühm-

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    ten Basaltbergs in der Gestalt einer riesigen Geige, auf de-
    ren Saiten der Gottseibeiuns in Sturm- und Wetternächten
    zum Tanz aufspielt; die des Retyezat mit seinem von einer
    Hexe rasierten Gipfel; die Sage vom Tordapaß, den der hei-
    lige Ladislaus dereinst durch einen gewaltigen Schwerthieb
    öffnete. Miriota schenkte all diesen Erdichtungen vollen
    Glauben, deshalb blieb sie aber doch ein reizendes liebens-
    wertes Mädchen.
    Daß sie vielen jungen Burschen des Landes ausnehmend
    gefiel, ist nicht zu verwundern, und dabei dachten diese
    noch kaum daran, daß sie die einzige Erbin des Biró Koltz,
    des ersten Gemeindebeamten von Werst war. Übrigens hatte
    es keinen Zweck, ihr den Hof zu machen, denn sie war Ni-
    colas Decks erklärte Verlobte. Dieser Nicolas oder vielmehr
    Nic Deck war ein hübscher Rumäne von 25 Jahren, ziem-
    lich groß, von kräftigem Körperbau, der den Kopf gerade
    aufrecht trug. Er hatte schwarzes Haar, das der weiße Kol-
    pak bedeckte, einen offenen Blick, trug eine ausgeschnit-
    tene, mit Stickereien verzierte Weste aus Lammleder, dabei
    zeigte er fein geformte Glieder, – die Beine eines Hirsches –
    und in Gang und sonstigen Bewegungen eine unleugbare
    Entschlossenheit des Charakters. Von Beruf war er Förster,
    das heißt ebensosehr Militär wie Zivilist. Da er in der Um-
    gebung von Werst einiges Ackerland sein eigen nannte, ge-
    fiel er dem Vater, und da er sich als liebenswürdiger jun-
    ger Mann mit einem gewissen Stolz zeigte, noch mehr der
    Tochter, die übrigens niemand hätte versuchen sollen, ihm
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    abwendig zu machen oder nur mit verlangendem Auge an-
    zusehen.
    Die Hochzeit von Nic Deck und Miriota Koltz sollte –
    noch fehlten 14 Tage an der festgesetzten Zeit – etwa in
    der Mitte des nächsten Monats gefeiert werden. Bei dieser
    Gelegenheit gab’s natürlich ein Fest fürs ganze Dorf. Meis-
    ter Koltz würde seine Sache schon machen, geizig war er ja
    nicht. Wenn er es liebte, Geld zu verdienen, so wehrte er sich
    auch nicht, es bei passender Gelegenheit auszugeben. Nach
    der Trauung sollte Nic Deck mit im Familienhaus wohnen,
    das ihm von dem Biró dereinst zufallen mußte, und wenn
    dann Miriota ihn neben sich wußte, dann fürchtete sie sich
    gewiß nicht mehr, daß, wenn sie eine Tür auffällig knarren
    hörte oder ein Möbelstück in den langen Winternächten ei-
    nen Sprung erhielt, dann irgendein aus ihren Lieblingssa-
    gen entsprungenes Gespenst ihr seine Aufwartung machen
    wollte.
    Um die Liste der Notablen von Werst zu vervollständi-
    gen, müssen wir noch zwei, und zwar die nicht am wenigs-
    ten wichtigen Personen anführen – nämlich den Lehrer und
    den Arzt.
    Der Magister Hermod war ein langer Mann mit Brille,
    zählte 55 Jahre und hatte stets das gebogene Mundstück
    seiner Pfeife mit Porzellankopf zwischen den Lippen; die
    etwas dünn gewordenen Haare standen wie Borsten von
    dem ziemlich flachen Schädel ab. Das sonst glatte Gesicht
    zeigt auf der linken Wange eine kleine Narbe. Seine Haupt-
    beschäftigung lief darauf hinaus, daß er die Federn seiner
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    Schüler schnitt,

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