Das Karpatenschloß
Koltz war ein kleiner Mann von 55
bis 60 Jahren, von Geburt Rumäne, trug kurz geschorene,
halbgraue Haare, einen noch schwarzen Schnurrbart und
hatte eher sanfte als lebhafte Augen. Untersetzt gebaut, wie
der Sohn der Berge, bedeckte sein würdiges Haupt ein gro-
ßer Filzhut; den Leib umschloß ein breiter Gürtel mit er-
habenen Verzierungen; dazu trug er eine ärmellose Weste,
eine kurze, halbweite Hose, die in den hohen Lederstiefeln
steckte. Mehr Gemeindevorstand als Richter, obwohl er die
Verpflichtung hatte, unter Nachbarn entstandene Streitig-
keiten zu schlichten, verwaltete er sein Dorf mehr nach ei-
genem Gutdünken und nicht ohne einige Vorteile für sei-
nen Geldbeutel. So waren alle das Gericht berührenden
Angelegenheiten – Käufe und Verkäufe – mit einer ihm
zufallenden Steuer belegt, ohne von den Wegegeldern und
— 48 —
dergleichen zu sprechen, die alle Fremden, Touristen oder
Handelsleute, in seine Tasche fließen lassen mußten.
Diese recht ergiebige Stellung hatte Meister Koltz eine
gewisse Behäbigkeit gewinnen lassen. Während die meisten
Bauern des Komitats schon durch den Wucher ausgesaugt
sind, der in nicht allzu ferner Zeit das ganze Land in die
Hand von Israeliten überliefern wird, hatte sich der Biró der
Raubsucht der Letzteren zu entziehen gewußt. Auf sein von
Hypotheken, von »Intabulationen«, wie man hierzulande
sagt, freies Gut war er keiner Seele etwas schuldig. Er hätte
eher Gelder ausleihen können, und hätte das sicher getan,
ohne den armen Teufeln die Kehle abzuschnüren. Ihm ge-
hörten verschiedene Weiden, schöne Grasplätze für seine
Herden, ziemlich gut instand gehaltenes Ackerland, obwohl
er von den neueren Kulturmethoden nichts wissen wollte;
ferner Weinberge, die seiner Eitelkeit schmeichelten, wenn
er an den mit Trauben beladenen Rebengelände entlangspa-
zierte und deren reichen Herbst er mit Nutzen verkaufte –
natürlich mit Ausnahme der ziemlich beträchtlichen Menge,
die für seinen eigenen Bedarf zurückbehalten wurde.
Selbstverständlich war das Haus von Meister Koltz in
einer Ecke der die lange Straße kreuzenden Terrasse das
schönste des Dorfes. Es bestand aus wirklichem Mauer-
werk, hatte die Fassade ebenfalls nach dem Garten zu und
die Tür zwischen dem dritten und vierten Fenster. Grüne
Schlingpflanzen umsäumten die Dachrinne mit ihrem wir-
ren Gezweig, und zwei große Buchen breiteten über dem
blumendurchsetzten Strohdach ihre massigen Äste aus. Da-
— 49 —
hinter lag ein hübscher Garten mit rechtwinklig angeord-
neten Gemüsebeeten und geradlinigen Obstbaumreihen,
die auch noch ein Stück die Berglehne hinaufreichten. Das
Innere des Gebäudes enthielt einige für die hiesigen Ver-
hältnisse stattliche und sauber gehaltene Räume, Eßzim-
mer, mehrere Schlafzimmer mit angestrichenem Mobiliar,
Tischen, Betten, Bänken, Stühlen und Schemeln, ferner Ge-
stelle mit Töpfen und blinkenden Schüsseln. Oben traten
die Balken der Decke sichtbar hervor, und daran hingen mit
Bändern und lebhaft gefärbten Stoffen geschmückte Vasen;
an den Wänden standen schwere, mit dicken Woll- und fei-
nen Steppdecken überzogenen Kisten, die als Truhen und
Schränke dienten; an den hellen Wandflächen endlich hin-
gen die roh illuminierten Bilder der rumänischen Helden –
unter anderem das des volkstümlichen Heroen aus dem 15.
Jahrhundert, des Woiwoden Vayda-Hunyad.
Das Ganze bildete eine recht freundliche Wohnstätte,
die für einen einzelnen Mann nur zu groß gewesen wäre.
Der Meister Koltz hauste hier auch nicht allein. Seit etwa
10 Jahren Witwer, besaß er doch eine Tochter, die schöne
Miriota, die von Werst bis Vulcan, und auch noch darüber
hinaus, allgemein bewundert wurde. Sie hätte wohl einen
der seltsamen heidnischen Namen, Floriva, Daïna, Dauri-
tia oder einen ähnlichen haben können, wie sie in walachi-
schen Familien noch vielfach bevorzugt werden. Doch nein,
sie hieß einfach »Miriota«, das heißt »das Lämmchen«. Die-
ses Lämmchen war allerdings im Laufe der Jahre gewachsen
und jetzt ein schlankes Mädchen von 20 Jahren mit blon-
— 50 —
dem Haar und rehbraunen Augen, die so sanft in die Welt
hinausblickten und ihren lieblichen Gesichtszügen und der
angenehmen Haltung noch einen weiteren Reiz verliehen. –
In der Tat, gerade genug, daß sie den bestechendsten Ein-
druck machte in der schmucken, am Hals, an den Schultern
und den Handgelenken
Weitere Kostenlose Bücher