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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Orgall lag, das die Gebäude der Burg krönten; auf
    der andern rauschte er, stets, selbst in der heißen Sommers-
    zeit, von vielen Zuflüssen aus dem Berg reichlich gespeist,
    dem Bett der walachischen Sil zu, die ihn im Vorüberfließen
    verschluckte.
    Rechter Hand im Gasthaus und gleich an die Gaststube
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    anstoßend, befand sich ein halbes Dutzend kleiner Zim-
    mer – eine ausreichende Zahl für die wenigen Reisenden,
    die vor Überschreitung der Grenze im ›König Mathias‹ ein-
    mal Nachtquartier machten. Sie waren hier einer guten Auf-
    nahme sicher und zahlten auch nur mäßige Preise bei dem
    aufmerksamen, diensteifrigen Wirt, der obendrein recht gu-
    ten Tabak zu verkaufen hatte, den er sich aus den besten
    »Trafiks« der Umgebung beschaffte. Jonas selbst benutzte
    zum Schlafen eine schmale Dachkammer mit kleinen Fens-
    terluken, die nach der Terrasse zu lagen.
    In diesem Gasthaus also hatten sich am Abend des 29.
    Mai alle »Häupter« von Werst zusammengefunden: Meister
    Koltz, Magister Hermod, der Förster Nic Deck, ein Dutzend
    der angesehensten Bewohner des Dorfs und auch der Schä-
    fer Frik, der hier nicht die unbedeutendste Rolle spielte. Der
    Doktor Patak fehlte bei dieser Vereinigung der Notablen. Er
    war eiligst zu einem seiner Kunden gerufen worden, der nur
    noch auf ihn wartete, um in die andere Welt überzusiedeln;
    doch hatte der Arzt versprochen zu erscheinen, sobald er
    sich seiner Pflichten im Sterbehaus entledigt hatte.
    In Erwartung des Ex-Krankenpflegers schwatzte man
    von dem höchst ernsthaften Tagesereignis, doch nicht, ohne
    dabei tüchtig zu essen und zu trinken. Den Hungrigen bot
    Jonas eine Art Backwerk oder Maiskuchen, hier unter dem
    Namen »Mamaliga« bekannt, der wirklich gar nicht so übel
    schmeckt, wenn man ihn in frischer Milch aufweicht. Den
    anderen brachte er ungezählte kleine Gläser mit jenem star-
    ken Branntwein, der wie Wasser durch die rumänischen
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    Kehlen rinnt; dem gewöhnlichen spritreichen Schnaps,
    der nur einen einzigen Kreuzer das Glas kostet, noch mehr
    aber von dem »Rakiou«, ein sehr alkoholhaltiger Pflaumen-
    branntwein, von dem im Land der Karpaten sehr viel um-
    gesetzt wird.
    Wir müssen hier einflechten, daß der Gastwirt Jonas – es
    war nun einmal so Sitte im Haus – nur »auf dem Teller«
    servierte, das heißt den Leuten, die an einem Tisch Platz
    genommen hatten, da es ihm nicht entgangen war, daß die
    sitzenden Kunden immer mehr verzehrten als die stehen-
    bleibenden. Heute abend schien das Geschäft zu blühen,
    denn alle Schemel und Bänke waren von bekannten Gästen
    besetzt. So mußte Jonas immer mit Kannen in der Hand
    von einem Tisch zum andern gehen, nur um die sich immer
    wieder leerenden Becher zu füllen.
    Es war jetzt abends halb 9. Man verhandelte schon seit
    der Dämmerung, ohne sich darüber zu verständigen, was
    wohl zu tun war. In einem Punkt stimmten die wackeren
    Leute jedoch alle überein, darin nämlich, daß das Karpaten-
    schloß von Unbekannten bewohnt wurde und für die Dorf-
    schaft Werst eine ebenso große Gefahr bildete, wie etwa
    eine Pulvermühle am Eingang einer Stadt.
    »Die Sache ist sehr ernst!« meinte Meister Koltz.
    »Sehr ernst!« wiederholte der Magister zwischen zwei
    tüchtigen Rauchwolken aus der von ihm unzertrennlichen
    Pfeife.
    »Ungemein ernst!« ließen alle übrigen sich vernehmen.
    »Besonders eins steht fest«, nahm da Jonas das Wort,
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    »daß der üble Ruf der Burg unserem Land schon viel ge-
    schadet hat.«
    »Und jetzt wird das nur umso mehr der Fall sein«, rief
    Magister Hermod.
    »Fremde sind ohnehin nur selten hierhergekommen«,
    stieß Meister Koltz mit einem Seufzer hervor.
    »Und nun wird sich gar keiner mehr sehen lassen!« fügte
    Jonas, ebenso seufzend wie der Biró hinzu.
    »Eine Menge Einwohner denken schon daran, die Ge-
    gend zu verlassen!« bemerkte einer der Trinkenden.
    »Und zwar ich zuerst«, meldete sich ein Bauer aus der
    Nachbarschaft; »ich ziehe von hier fort, sobald ich meine
    Weinberge verkauft habe.«
    »Nun, Käufer dafür werdet Ihr schwerlich finden, alter
    Freund!« versetzte der Gastwirt.
    Der Leser erkennt hier, um was das Gespräch der Leute
    sich drehte. Zu dem Schrecken, den ihnen das Karpaten-
    schloß selbst einflößte, gesellte sich noch die drohende Ver-
    letzung ihrer geschäftlichen Interessen. Blieben die Reisen-
    den aus, dann hatte Jonas in seinem Gewerbe davon den
    Nachteil, so hinkte es bei Meister

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