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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Koltz mit den Einnah-
    men von Wegegeldern, deren Ertrag sicherlich zusammen-
    schmolz; fehlte es an Kaufinteressenten für die Ländereien
    in Vulcan, dann konnten die jetzigen Besitzer sie also nicht
    loswerden, nicht einmal zu niedrigen Preisen. Das dauerte
    zwar schon mehrere Jahre an, aber jetzt drohte diese bekla-
    genswerte Lage der Dinge noch deutlich zu verschlechtern.
    Natürlich, wenn die Geister der Burg sich früher so still
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    verhielten, daß sie nicht das Geringste von sich sehen lie-
    ßen, wie sollte es jetzt werden, wo sie ihre Anwesenheit
    durch greifbare Tatsachen zu erkennen gaben?
    Da glaubte der Schäfer Frik sein Licht leuchten lassen
    zu sollen, und er sagte, wenn auch mit zaghafter Stimme:
    »Vielleicht sollte man doch ...«
    »Was?« fragte Meister Koltz.
    »Einmal hingehen und selbst nachsehen, Herr Richter.«
    Alle starrten einander an, senkten dann die Augen, und
    die Frage blieb ohne Antwort.
    Da ergriff Jonas, sich an Meister Koltz wendend, wieder
    das Wort.
    »Euer Schäfer«, sagte er, »hat doch am Ende den einzi-
    gen richtigen Vorschlag gemacht, der über die Sache Klar-
    heit verschaffen könnte.«
    »Zur Burg zu gehen?«
    »Jawohl, lieber Freund«, antwortete der Gastwirt. »Steigt
    eine Rauchsäule aus dem Schornstein des Wartturms, dann
    hat jemand darin Feuer gemacht, und wenn jemand Feuer
    gemacht hat, muß es doch eine Hand angezündet haben.«
    »Eine Hand! Wenn’s nur keine Kralle gewesen ist!« warf
    der alte Bauer kopfschüttelnd ein.
    »Hand oder Kralle«, meinte der Wirt, »darauf kommt es
    nicht an. Wir müssen wissen, was die Geschichte bedeutet.
    Es ist das erstemal, daß eine Rauchsäule aus dem Schorn-
    stein des Schlosses aufsteigt, seitdem es der Baron Rudolph
    von Gortz verlassen hat.«
    »Immerhin wäre es nicht ausgeschlossen, daß es dort
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    schon öfter geraucht hat, ohne daß es jemand gewahr
    wurde«, bemerkte Meister Koltz.
    »Das glaub’ ich nie und nimmer«, rief Magister Hermod
    lebhaft.
    »Im Gegenteil, es ist sehr gut möglich«, entgegnete der
    Biró, »da wir bisher kein Fernrohr besaßen, um zu beobach-
    ten, was auf der Burg vorging.«
    Dieser Einwurf schien gerechtfertigt. Dieselbe Erschei-
    nung konnte ja schon lange bestanden haben und selbst
    dem Schäfer Frik trotz seiner ausgezeichneten Augen ent-
    gangen sein. Doch ganz gleich, ob die genannte Erschei-
    nung nun neueren Datums war oder nicht, so unterlag
    es doch keinem Zweifel, daß jetzt menschliche Wesen im
    Karpatenschloß hausten. Diese Tatsache allein bildete aber
    schon eine Quelle der Beunruhigung für die Einwohner von
    Vulcan und Werst.
    Magister Hermod glaubte bei seinem Aberglauben hier-
    gegen Einspruch erheben zu müssen.
    »Menschliche Wesen, meine Freunde? Ihr werdet mir
    gestatten, daß ich daran nicht glaube. Wie sollten mensch-
    liche Wesen auf den Einfall kommen, sich in die Burg zu
    flüchten; was bezweckten sie da und wie wären sie hinein-
    gelangt?«
    »Und wofür haltet Ihr denn jene Eindringlinge?« fragte
    Meister Koltz.
    »Für übernatürliche Wesen«, erwiderte Magister Her-
    mod in einem Ton, der allgemeinen Eindruck machte. »Wa-
    rum sollten es denn keine Geister sein, Gnome, meinet-
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    wegen Berggeister, vielleicht auch gar einige der höchst
    gefährlichen Lamien, die in der Gestalt schöner Frauen er-
    scheinen.«
    Während dieser Aufzählung hatten sich alle Blicke zur
    Tür, den Fenstern oder dem Kamin der Gaststube des ›Kö-
    nig Mathias‹ gerichtet. Jeder der Anwesenden fürchtete
    schon, das eine oder andere jener Gespenstergebilde zu se-
    hen, die der Schulmeister durch seine Worte erst recht her-
    aufbeschwören konnte.
    »Na, na, lieber Freund«, wagte da Jonas einzuwenden,
    »wenn jene Wesen Geister wären, könnte ich mir doch
    nicht erklären, weshalb sie ein Feuer angezündet haben, da
    sie doch offenbar nichts zu kochen hätten.«
    »Und ihre Hexentränke?« fiel der Hirt ein. »Habt Ihr denn
    ganz vergessen, daß Feuer dazu gehört, sie zu brauen?«
    »Natürlich«, bestätigte der Schulmeister in einem Ton,
    der jeden Widerspruch abschnitt.
    Diese Ansicht fand also allgemeine Zustimmung, und
    nach der Überzeugung aller waren es unzweifelhaft über-
    natürliche Wesen, nicht menschliche Geschöpfe, die das
    Karpatenschloß zum Schauplatz ihrer Ränke und Schliche
    gewählt hatten.
    Bisher hatte sich Nic Deck an dem Gespräch noch gar
    nicht beteiligt. Der Förster begnügte sich, aufmerksam

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