Das Karpatenschloß
etwa Lonyi, einige Fort-
schritte, wie sie die ausgebildete Industrie mit sich bringt,
aufweisen, wenn diese Flecken regelmäßige, nach Win-
kelmaß und Schnur errichtete Gebäude besitzen, und ne-
ben diesen Schuppen, Magazine, wirkliche Arbeiterviertel,
wenn man darin vereinzelte Wohnungen findet, die mit
Balkons und Veranden geschmückt sind, so darf man etwas
Ähnliches doch weder im Dorf Vulcan, noch in Werst su-
chen wollen.
Der einzigen Straße sind hier wohlgezählte 60 Häuser
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oder Häuschen angereiht, alle mit seltsamen Dächern, de-
ren Sparrenwerk über die Lehmwand herausragt, die eigent-
liche Fassade nach dem Garten zu gerichtet; als Stockwerke
haben sie Kornböden mit Luken, daneben angebaute Scheu-
nen, die halb zerfallen erscheinen und mit Stroh gedeckt
sind; da und dort zeigt sich ein Ziehbrunnen mit langem
Schaukelbalken, an dessen einem Ende der Schöpfeimer
hängt, endlich einige Wassertümpel, die bei jedem Ge-
wittersturm »fliehen« (das heißt, deren Wasser durch den
starken Wind hinausgetrieben wird), nebst den veränder-
lichen kleinen »Bächen« in den Wagenspuren – das ist das
Bild der zu beiden Seiten der Straße zwischen den schrä-
gen Bergabhängen erbauten Dorfschaft Werst. Dennoch
sieht das ganze frisch und anziehend aus; da gibt es Blumen
an den Fenstern und Türen; grünende Vorhänge bekleiden
die Wände; wirr durcheinander wachsende Grashalme, die
sich mit dem alten Stroh der Dächer vermischen; Pappeln,
Ulmen, Buchen, Tannen, Ahornbäume, die über die Häu-
ser emporragen, »soweit ihnen das möglich ist«. Über dem
allen erheben sich die Stufen der Mittelschichten der Berg-
kette, und ganz im Hintergrund die Gipfel von Einzelber-
gen, die im blauen Schimmer der Ferne mit dem Azur des
Himmels verschwimmen.
In Werst spricht man, ebenso wie in diesem ganzen Teil
Tanssilvaniens, weder deutsch noch ungarisch, sondern ru-
mänisch, selbst in den wenigen Zigeunerfamilien, die in den
verschiedenen Dörfern des Komitats weniger umherziehen
als seßhaft sind. Diese Fremdlinge nehmen die Sprache des
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Landes und wohl auch dessen herrschende Religion an. Die
von Werst bilden eine Art kleinen Clan unter der Aufsicht
eines Woiwoden, mit ihren Hütten, ihren »Barakas« mit
spitzem Dach, ihrer Legion von Kindern; sie unterscheiden
sich aber durch ihre Sitten und die Regelmäßigkeit ihrer
Lebensführung vorteilhaft von denjenigen ihrer Stammes-
genossen, die durch ganz Europa ein unstetes Wanderleben
führen. Sie huldigen sogar dem griechischen Ritus, indem
sie sich unschwer dem Glaubensbekenntnis der Christen
angliedern, in deren Mitte sie leben. Werst besitzt nämlich
als geistlichen Herrn einen Popen, der aber in Vulcan wohnt
und dem die Seelsorge in den beiden nur 1 Wegstunde von-
einander liegenden Dörfern anvertraut ist.
Die Zivilisation gleicht der Luft oder dem Wasser. Wo
sich nur ein Durchgang bietet, und sei es nur eine Spalte, ein
Riß, der ihr offensteht, da dringt sie hindurch und drückt
ihren Stempel auf alle Verhältnisse des Landes und des Le-
bens. Leider muß man aber gestehen, daß sich in diesem
südlichen Teil der Karpaten noch keine solche Spalte aufge-
tan hatte. Da Elisée Reclus von Vulcan noch sagen konnte,
»daß es der äußerste Posten der Zivilisation im Tal der wa-
lachischen Sil sei«, ist es nicht verwunderlich, in Werst ei-
nes der am meisten zurückgebliebenen Dörfer des Komitats
von Kolosvar zu finden. Wie könnte es auch anders sein in
diesen Ortschaften, wo jeder geboren wird, aufwächst und
wieder stirbt, ohne sie jemals verlassen zu haben!
Und doch, wird der Leser hier einwenden, gab es einen
Schulmeister und einen Ortsrichter in Werst? – Jawohl. Der
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Magister Hermod war aber nur imstande zu lehren, was er
selbst verstand, und das beschränkte sich auf ein wenig Le-
sen, ein wenig Schreiben und das notdürftigste Rechnen.
Seine eigene Ausbildung reichte eben nicht weiter. Von
Naturwissenschaft, Geschichte, Geographie und Literatur
wußte er nur, was in den Volksliedern und Sagen des Lan-
des niedergelegt war. In phantastischen Erzählungen war er
sehr stark, und verschiedene Schüler aus dem Dorf machten
bei ihm hierin recht erstaunliche Fortschritte.
Was den Ortsrichter angeht, so muß man von der Bedeu-
tung dieser, dem ersten Gemeindebeamten von Werst ver-
liehenen Würde eine etwas genauere Kenntnis nehmen.
Der Biró Meister
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