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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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meis-
    ten. Auf sich allein angewiesen und ohne Bekanntschaft mit
    den unzähligen Kreuzundquerpfaden im gangbaren Teil des
    Walds des Plesa, fühlte er sich außerstande, den Weg nach
    Werst zu finden. Im übrigen war allein zu sein, wenn die
    Nacht gekommen wäre – eine voraussichtlich stockfinstere
    Nacht – die Abhänge des Bergstocks hinunterzugehen, auf
    die Gefahr hin, vielleicht in eine Schlucht hinabzustürzen,
    für ihn keine verlockende Aussicht. Da er davon befreit sein
    sollte, die Mauer zu erklettern, woran ja nach Sonnenunter-
    gang überhaupt nicht zu denken war, erschien es ihm rich-
    tiger, dem Forstmann bis zum Fuß der Umfassungsmauer
    zu folgen. Der Doktor wollte jedoch noch einen letzten Ver-
    such wagen, seinen Begleiter abzuhalten.
    »Ihr wißt, mein lieber Nic«, wandte er sich an ihn, »daß
    ich niemals imstande wäre, Euch zu verlassen. Da Ihr darauf
    besteht, Euch zum Schloß zu begeben, werde ich Euch nicht
    allein gehen lassen.«
    »Das ist doch ein vernünftiges Wort, Doktor Patak, und
    ich meine, daran sollt Ihr festhalten.«
    »Nein, noch ein anderes Wort, Nic. Wenn die Nacht ein-
    bricht und wir erst dann ans Schloß kommen, müßt ihr mir
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    versprechen, keinen Versuch zum Eindringen in die Burg
    zu machen.«
    »Ich verspreche nur, Doktor, selbst das Unmögliche nicht
    zu scheuen, um dort hineinzugelangen, und nicht eher ei-
    nen Fuß breit zurückzuweichen, ehe ich mich nicht über-
    zeugt habe, was darin vorgeht.«
    »Was darin vorgeht, Förster?« rief der Doktor Patak ach-
    selnzuckend. »Was meint Ihr denn, was darin vorgehen
    mag?«
    »Ja, im voraus weiß ich davon nichts, da ich aber ent-
    schlossen bin, es zu erfahren, so werd’ ich auch dahinter-
    kommen.«
    »Erst muß man überhaupt bis dahin ... bis an das Teu-
    felsschloß gelangen!« versetzte der Doktor, der nun am
    Ende seiner Weisheit war. »Wenn ich das nach den bisheri-
    gen Hindernissen beurteile und nach der Zeit, die nur der
    Weg durch die Wälder des Plesa in Anspruch nimmt, dann
    wird der Tag zur Rüste gehen, ehe wir es zu sehen bekom-
    men.«
    »Das glaub’ ich nicht«, antwortete Nic Deck. »Auf der
    Höhe des Berges ist das Fichtengehölz weit weniger mit Un-
    terholz durchsetzt als dieses Dickicht von Ulmen, Ahorn-
    bäumen und Buchen.«
    »Der Boden wird aber umso steiler ansteigen.«
    »Das macht nichts, wenn er nur gangbar ist.«
    »Ich habe mir aber sagen lassen, wir würden es auf der
    Höhe des Orgall mit Bären zu tun haben.«
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    »Ich habe meine Flinte und Ihr die Pistole, Euch der
    Haut zu wehren.«
    »Wenn’s aber Nacht wird, laufen wir Gefahr, uns in der
    Finsternis zu verirren!«
    »Oh nein, denn wir besitzen jetzt einen Führer, der uns,
    wie ich hoffe, nicht wieder verlassen wird.«
    »Was? Einen Führer?« rief der Doktor entsetzt.
    Er sprang schnell auf, um ringsumher einen unruhigen
    Blick zu werfen.
    »Ja sicher«, versicherte Nic Deck, »und dieser Führer ist
    hier der Bach, der Nyad, an seinem rechten Ufer entlang
    werden wir voraussichtlich den Rand der Hochfläche er-
    reichen können, denn von dort nimmt er seinen Ursprung.
    Meiner Ansicht nach werden wir vor Ablauf von 2 Stunden
    am Tor der Burg stehen, wenn wir hier nicht länger verwei-
    len.«
    »Binnen 2 Stunden, wenn nur nicht etwa 6 daraus wer-
    den!«
    »Nun denn, vorwärts! Seid Ihr bereit?«
    »Ihr wollt schon fort, Nic? Wir haben doch kaum ein
    paar Minuten ausgeruht!«
    »Ein paar Minuten, die zusammen eine gute halbe Stunde
    ausmachen. – Zum letzten Mal also, seid Ihr fertig?«
    »Zum Kuckuck, wenn einem die Beine wie Blei am Leib
    hängen. Ihr wißt doch, daß ich keine Försterschenkel hab,
    Nic Deck! – Mir sind die Füße ganz gehörig angeschwollen,
    und es ist eine Grausamkeit, mich zwingen zu wollen, Euch
    zu folgen.«
    — 95 —
    »Nun, ich habe das Lamentieren satt, Patak. Ich stelle es
    Euch frei, mich zu verlassen. Glückliche Reise!«
    Nic Deck erhob sich.
    »Um Himmelswillen, Förster«, rief Doktor Patak, »hört
    noch auf ein Wort!«
    »Auf Eure Dummheiten!«
    »Nein, nein; doch da es schon so spät ist, wär’ es doch
    besser, vorläufig hier zu bleiben und unter diesen Bäumen
    zu übernachten. Morgen mit Tagesgrauen brechen wir wie-
    der auf und haben dann den ganzen Vormittag vor uns, um
    zum Schloß zu gelangen.«
    »Doktor«, erwiderte Nic Deck, »ich wiederhole Euch
    nur, daß es meine Absicht ist und bleibt, darin schon die
    Nacht zuzubringen.«
    »Nein!«

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