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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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das seine Die-
    ner niemals leer werden lassen durften. Jetzt war es jedoch
    mit Sand und Pflanzenresten angefüllt, mit grünlichem
    Moos bewachsen und so morsch, daß es der geringste Stoß
    vollständig zertrümmert hätte.
    Am Ende der Bank erhob sich ein Steinpfeiler, der Rest
    eines alten Kreuzes, von dessen Armen auf jenem nur noch
    die halbverwitterte Fuge, die sie gehalten hatte, sichtbar war.
    In seiner Eigenschaft als Freigeist konnte der Doktor Patak
    natürlich nicht annehmen, daß ihn dieses, obendrein zer-
    fallene Kreuz vor übersinnlichen Erscheinungen schützen
    würde. Und doch war er – eine bei Ungläubigen oft beob-
    achtete merkwürdige Anomalie – gar nicht fern davon, an
    den Teufel zu glauben. Seiner Vorstellung nach mußte der
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    Chort ja in der Nähe sein, denn er hielt das Schloß in sei-
    nem Bann, und wenn dem Gottseibeiuns etwa das Lüstchen
    anwandelte, ihnen beiden den Hals umzudrehen, würde ihn
    weder das geschlossene Burgtor noch die aufgezogene Brü-
    cke am Herauskommen hindern können.
    Und wenn sich der Doktor überlegte, daß er eine ganze
    Nacht unter solchen Verhältnissen zubringen sollte, da zit-
    terte er wie Espenlaub. Nein, das hieß von der menschlichen
    Natur zuviel verlangen, und seiner Meinung nach wäre dem
    auch der willensstärkste Charakter unterlegen.
    Da dämmerte ihm langsam noch ein Gedanke auf – ein
    Gedanke, der sich seit dem Aufbruch aus Werst in seinem
    Gehirn noch nicht gemeldet hatte. Jetzt war es Dienstag-
    abend, und an diesem Tag hüten sich die Bewohner des Ko-
    mitats weislich, nach Sonnenuntergang noch auszugehen.
    Der althergebrachten Ansicht nach hieß es, die Begegnung
    mit bösen Geistern geradezu herausfordern, wenn man sich
    da noch über das Dorf hinaus begab. Am Dienstag verkehrt
    nach Sonnenuntergang dort wirklich keine Seele mehr auf
    den Landstraßen oder Feldwegen. Und jetzt sah sich der
    Doktor Patak nicht nur außerhalb seines Hauses, sondern
    sogar ganz in der Nähe eines verwunschenen Schlosses, fast
    3 Meilen entfernt vom sicheren Dorf. Hier sollte er aushar-
    ren bis zum Morgenrot des nächsten Tages – wenn er über-
    haupt eines wiedersah! Wahrlich, das hieß doch den Teufel
    versuchen!
    Noch ganz diesen Vorstellungen hingegeben, sah der
    Doktor seinen Gefährten ganz unbefangen ein tüchtiges
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    Stück kaltes Fleisch aus dem Rucksack ziehen, nachdem
    er sich vorher mit einem herzhaften Schluck gestärkt hatte.
    Da meinte er, vorläufig nichts besseres tun zu können, als
    es jenem nachzumachen, und das tat er denn auch. Nur ein
    Stück Schinken und eine Schnitte Brot brauchte er, um die
    verlorenen Kräfte wieder zu ersetzen. Doch wenn er damit
    seines Hungers Herr wurde, seine Furcht und Angst be-
    siegte er jedenfalls nicht.
    »Nun wollen wir aber schlafen«, begann da Nic Deck,
    der sich den Proviantsack am Fuß des Felsblocks schon als
    Kopfkissen zurechtgelegt hatte.
    »Schlafen, Förster?«
    »Natürlich, Doktor! Gute Nacht also.«
    »Eine gute Nacht ist leicht gewünscht, ich fürchte nur,
    daß die heutige ein schlechtes Ende nimmt.«
    Nic Deck, der zum Plaudern nicht in der Laune war, gab
    keine Antwort. Schon lange daran gewöhnt, dann und wann
    im Wald zu übernachten, suchte er sich, gegen die Steinbank
    gelehnt, die bequemste Lage und fiel bald in tiefen Schlum-
    mer. Der Doktor konnte schließlich nichts tun, als vor sich
    hin zu brummen, als er sah, wie regelmäßig und tief sein
    Begleiter atmete. Er selbst vermochte allerdings – nicht ein-
    mal für wenige Minuten – Gesichts- und Gehörsinn außer
    Dienst zu stellen. Trotz aller Ermüdung spähte und horchte
    er nach allen Seiten hin und her. Sein Gehirn wurde eine
    Beute der ausschweifendsten Trugbilder, wie sie die Qual
    der Schlaflosigkeit zu gebären pflegt. Doch was wollte er
    denn bei der jetzt völligen Finsternis wahrnehmen? Alles
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    und nichts; die unbestimmten Formen der ihn umgeben-
    den Gegenstände, die über das Himmelsgewölbe hinziehen-
    den Wolken, die kaum erkennbare Steinmasse des Schlosses.
    Dann waren es wieder die Felsblöcke des Orgallplateaus, die
    Leben zu bekommen und eine Höllensarabande aufzufüh-
    ren schienen. Wenn diese sich nun von ihrem Untergrund
    ablösten, den Abhang herunterstürzten, wenn sie über die
    beiden Vorwitzigen hinwegrollten, sie vor dem Tor der
    Burg, die zu betreten ihnen gestern ausdrücklich verboten
    worden war, zermalmten – was dann? Hatten sie ihr

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